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Der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) des Europäischen Parlaments hat heute über seine Position zum Kommissionsvorschlag zur Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden (SUR) abgestimmt.

Dazu erklärt Martin Häusling, agrarpolitscher Sprecher der Grünen im Europäischem Parlament und Mitglied im Umweltausschuss:  

„Die von meiner Kollegin Sarah Wiener verhandelte Position des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments wurde heute nach zähen und teils kontroversen Verhandlungen angenommen. In den Landwirtschaftsmedien wurden zum Teil falsche Behauptungen zum Verhandlungsstand gemacht, konservative europäische Bauernverbände haben entgegen wissenschaftlichen Fakten zum Teil Angst geschürt und verzerrte Darstellungen verbreitet.  Die Europäische Volkspartei hatte sich an vielen Punkten in den Verhandlungen quer gestellt. Dennoch wurden viele gute Kompromisse angenommen.

Das schon von der Kommission zurückgenommene Totalverbot von Pestiziden in allen sogenannten sensiblen Gebieten wurde im Ergebnis des Umweltausschusses deutlich pragmatischer gestaltet. Am strengsten reguliert werden Gebiete, in denen vulnerable Gruppen gefährdet sind, wie z.B. auf Spielplätzen, rund um Schulen und Krankenhäuser.

Zum ersten Mal bekommen wir zukünftig rechtsverbindliche Definitionen für den integrierten Pflanzenschutz. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Umsetzung des integrierten Pflanzenschutzes gegeben sind. Die Landwirte müssen zuerst die einschlägigen Präventivmaßnahmen in Betracht ziehen und anwenden (die Liste ist im Vergleich zum Kommissionsvorschlag viel detaillierter). Zudem gibt es eine strengere Formulierung, wann chemische Pestizide eingesetzt werden dürfen. Zusätzlich gibt es aber auch eine jährliche verpflichtende, öffentlich finanzierte Beratung für Landwirte in modernem integriertem Pestizidmanagement.

Außerdem erhalten wir verbindliche Ziele für die EU und die Mitgliedstaaten zur Verringerung des Einsatzes und der Risiken chemischer Pestizide - auch wenn diese im Vergleich zum Kommissionsvorschlag leider abgeschwächt wurden. Es ist gelungen, das von der EU-Kommission vorgeschlagene Ziel beizubehalten (50 % Reduzierung bis 2030) und darüber hinaus ein höheres Ziel für die Reduzierung der gefährlicheren Pestizide/Substitutionskandidaten zu erreichen (65 % statt 50 %). Dabei sollen regional schon verhandelte Pestizidreduktionsmodelle ausdrücklich bevorzugt berücksichtigt werden.

Wir haben auch erreicht, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, nationale Aktionspläne (NAP) zur Reduzierung zu erstellen und eine bessere Dokumentation zu installieren. Kommen wird ein elektronisches Register: Informationen über IPM-Maßnahmen und verwendete Pestizide sollen länger gespeichert werden, als im Kommissionsvorschlag.

Ich gratuliere meiner Kollegin Sarah Wiener zu diesem tollen Erfolg und hoffe, dass im Plenum auch die Vernunft siegt und sich die Mehrheit der Abgeordneten für unsere Ökosysteme und unsere Gesundheit entscheiden.“

 

Hinweis:

Eine Überprüfung der Richtlinien zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden ergab in einem Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs von 2020, dass die Ziele des Schutzes der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt nicht erreicht werden. Kritisiert wurde beispielsweise, dass die seit 2009 verpflichtend aufzustellenden Aktionspläne zum Nachhaltigen Pflanzenschutz (NAP) von den meisten Mitgliedstaaten nachlässig umgesetzt wurden. Daraufhin hat die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt. Diese wäre im Unterschied zur bisherigen Richtlinie unmittelbar in den Mitgliedstaaten gültig.

Weitere Informationen: Mein Briefing zu Kommissionsvorschlag zur Verordnung zum Nachhaltigen Einsatz von Pestiziden (SUR - sustainalbe use of pesticides regulation) (15.12.2022).

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

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