FR - Der Green Deal der EU muss umgesetzt werden
Frankfurter Rundschau: https://www.fr.de/meinung/der-green-deal-der-eu-muss-umgesetzt-werden-und-nicht-bekaempft-92839514.html
Konservative instrumentalisieren die Bauernproteste, um nachhaltige Politik zu Fall zu bringen. Das darf nicht passieren. Ein Gastbeitrag der grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling und Anna Cavazzini.
Der Green Deal droht unter die Räder zu kommen. Konservative und liberale Parteien nutzen die europaweiten Proteste aus der Landwirtschaft zu dessen Aushöhlung und Entwertung. Doch das ist kurzsichtig und nicht im Interesse der Landwirt:innen, die vor allem eins fordern: Planungssicherheit angesichts vielfältiger Herausforderungen. Insbesondere die Klima- und Biodiversitätskrise bedrohen die Landwirtschaft existenziell. Der Green Deal enthält hierfür Lösungen, keine Fallstricke. Die Bauernproteste vorzuschieben, um die Rücknahme nachhaltiger Politik durchzusetzen, ist daher absurd und instrumentalisiert eine angebliche Gegnerschaft zwischen Landwirtschaft und Ökologie. Doch wenn wir die natürlichen Ressourcen nicht schützen, hat auch die Agrarbranche keine Zukunft.
Konsequenz einer jahrzehntelang fehlgeleiteten Agrarpolitik
Konservative und Liberale haben die Gemeinsame Agrarpolitik der EU so gestaltet, dass sie vor allem großen Betrieben zugutekommt, während ökologisch wirtschaftende und kleinere Betriebe unterfinanziert bleiben. Diese Politik hat es auch der Agrarindustrie und dem Handel jahrzehntelang ermöglicht, auf Kosten der Landwirt:innen enorme Gewinne entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungskette zu machen. Zu ihr gehört auch die Förderung des Freihandels, der die europäischen Landwirt:innen unfairem Wettbewerb von außerhalb der EU aussetzt, weil Lohnkosten, Sozial- und Umweltstandards global nun mal sehr unterschiedlich sind. Das EU-Mercosur-Abkommen etwa unterstützen die meisten konservativen und liberalen Staats- und Regierungschef:innen und EU-Abgeordneten. Die Interessenvertreter:innen der Landwirtschaft in Europa lehnen es jedoch ab. Eine Fortsetzung dieser fehlgeleiteten Politik darf es nicht geben – vor allem im Interesse der Landwirt:innen, aber auch der Verbraucher:innen und der Umwelt.
Eine Aushöhlung des Green Deals gefährdet die europäische Landwirtschaft
Klimawandel und Artensterben verschärfen die Herausforderungen für Landwirt:innen, weil Böden zum Teil irreversibel geschädigt werden und die Zahl der Bestäuber zurückgeht – mit fatalen Folgen für die Erträge. Ein stures Vorantreiben der industriellen Landwirtschaftspolitik wie bisher führt in den ökologischen und wirtschaftlichen Ruin. Der Green Deal ist daher keine weitere Bürde, sondern eine sinnvolle und gute Perspektive für die Zukunft der europäischen Landwirte und Landwirtinnen, für unsere Ökosysteme und die Ernährungssicherheit.
Die Landwirte und der Green Deal sind aufeinander angewiesen
Was die Landwirt:innen in den aktuellen Protesten vorbringen, fordern wir schon seit Jahren: Die Agrarwende darf nicht allein den Bäuerinnen und Bauern aufgebürdet werden. Auch Rohstoffhandel, Verarbeiter und Handel müssen ihren Teil beitragen. Dies erfordert große Veränderungen im Wirtschaftsmodell unseres Ernährungssystems. Auch die Wissenschaft fordert: Landwirt:innen müssen durch gezielte Subventionen für die Erbringung gesellschaftlich wertvoller Leistungen zum Schutz von Artenvielfalt, Wasser und Böden unterstützt werden, damit sie den nötigen Strukturwandel bewältigen können. Dieser wurde viel zu lange hinausgezögert.
Unsere Vorschläge für eine sozial gerechte und nachhaltige Umgestaltung im Rahmen der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik liegen schon lange auf dem Tisch. Hierzu gehören unter anderem Subventionszahlungen nach klaren und praktikablen Regeln: zu Agrar-, Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen über ein Stufenmodell, dessen Leitbild intakte Ökosysteme sind, zur Förderung der Regionalität sowie zur Sicherung und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt. Die Zukunft der Landwirtschaft liegt in einer Wirtschaftsweise im Einklang mit Natur und Umwelt.
Zukunftsweisende Landwirtschaft braucht ökologischen Weitblick
Die Landwirt:innen wissen es seit Generationen: Ohne Natur keine Lebensmittel. Doch Konservative und Liberale haben offenbar nur auf eine Gelegenheit gewartet, den Green Deal zu Fall zu bringen. Sie machen den Weg frei für Partikularinteressen einer vermeintlichen Bauernlobby, der Agrarindustrie, von Großbetrieben und Co. Auf Kosten international gesetzter Klimaziele, intakter Agrarökosysteme oder des Tierschutzes. Gegen den Verbraucherwillen wurden Gesetze zur Wiederherstellung der Natur oder zur Pestizidreduktion torpediert. Sogar die Wahlfreiheit bei gentechnisch veränderten Produkten soll wegfallen, wenn es nach ihnen geht. Das ist fahrlässige Geschäftemacherei und Leugnung wissenschaftlicher Wahrheiten. Der Green Deal bietet die bessere Alternative. Er ist die Zukunft der Landwirtschaft, nicht ihr Untergang.