Rheinische Post: Wie Bauern die EU-Debatte prägen
Rheinische Post Online: https://rp-online.de/politik/eu/aufwertung-im-parlament-wie-bauern-die-eu-debatte-praegen_aid-106578929
von Gregor Mayntz, 07. Februar 2024
Der Wind dreht sich: Konnte eine Mehrheit in der EU im Vorjahr noch immer mehr Biovorgaben und Klimaschutz in der Landwirtschaft durchsetzen, sind nun wichtige Projekte ausgebremst und die neue Gentechnik beschlossen.
Die parlamentarische Aufwertung der europäischen Landwirtschaft war schon geplant, bevor in Brüssel Bauern Barrikaden brennen ließen. Die beste Debattenzeit der Woche widmet das Europaparlament der europäischen Agrarpolitik, nimmt sich sehr viel Zeit dafür und schickt auch die erste Garde ins Rennen um die besseren Argumente. Zwar hat am Vortag Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch für ihre Institution die Signale bereits verändert und die von den Landwirten erbittert bekämpfte Pestizidverordnung endgültig zurückgezogen. Doch als am Donnerstag die Redner von links und rechts, vom Rand und aus der Mitte heftig aneinander geraten, sind sie sich in einem einig: Enttäuschung über die Ideenlosigkeit der Kommission.
Für die beschreibt Vizepräsident Maros Sefcovic eingangs der Beratungen, wie sehr sich die europäische Landwirtschaft als „resistent“ sowohl gegen die Pandemie als auch den russischen Angriffskrieg erwiesen habe. Wie klar die Bauernproteste das Gefühl der Landwirte vermittelten, in einer Sackgasse zu stecken und nicht ausreichend Gehör zu finden. Doch dann folgen nur Allgemeinplätze wie der Wunsch, „zu einem Konsens zu finden“. Die Kommission habe deswegen einen Dialog mit den Vertretern der europäischen Agrarverbände gestartet.
Schon dieses Vorgehen ist für die gelernte Bäuerin und amtierende Freie-Wähler-Europaabgeordnete Ulrike Müller falsch gewählt. Besser wäre es, in Regionalkonferenzen die Vorstellungen und Erwartungen der Landwirte einzusammeln, diese Erkenntnisse dann zu vergleichen und zu einer europäischen Lösung zu bringen. Den Dialog zu starten, zeuge zwar von einem „einsetzenden Problembewusstsein“ der Kommission, dieses münde aber umgehend wieder in einem Hinterzimmercharakter, und das sei schlecht, kritisiert Müller. Norbert Lins, CDU-Europaabgeordneter und Vorsitzender des EU-Agrarausschusses, wendet sich ebenfalls an von der Leyens Stellvertreter: „Die Bauern sind auf der Straße und Sie kommen mit leeren Händen“, hält er Sefcovic vor. Eine Reform sei dringend nötig: „Lassen wir die Bauern wieder ihre Arbeit machen“, fordert Lins mit dem Hinweis auf den Abbau von Berichtspflichten. „Weniger im Büro, mehr auf dem Feld“, müsse die Devise für die europäische Landwirtschaft sein. Zuvor hat schon die Fraktionschefin der europäischen Sozialdemokraten, Iratxe Garcia Perez ihr Verwunderung über Sefcovic ausgedrückt, dessen Ausführungen wenig mit der Wirklichkeit der Landwirte zu tun habe, die in vielen europäischen Städten auf die Straße gingen.
„Die EU braucht die Landwirtschaft, und die Landwirtschaft braucht die EU“, lautet die Überzeugung der spanischen Sozialdemokratin. Nötig sei eine bessere Ertragssituation für die Bauern und eine Eindämmung des Verwaltungsaufwandes. Zugleich bleibt für sie klar: „Wir sollten Landwirtschaft und Umweltschutz nicht auseinander definieren.“ Das ist eine Spitze gegen ihren Vorredner Manfred Weber, den Chef der Europäischen Volkspartei. Der hat die Debatte mit der Feststellung eröffnet, dass „Agrarpolitik keine Unterabteilung der Umweltpolitik“ sei.
Weber erinnert daran, dass seine Fraktion von Sozialdemokraten als „Klimaleugner“, von Liberalen als „Trumpisten“ beschimpft worden sei, als sie die Gesetzesprojekte zur Naturwiederherstellung und zur Pestizidverringerung ausgebremst habe. Inzwischen zeige sich aber, wie richtig das gewesen sei: „Die Bauern wissen, dass sie sich auf uns verlassen können.“ Es ist bereits Wahlkampf im Parlament. Und das ist dann auch die Stunde der Rechtspopulisten. Sie sagen voraus, dass in einigen Monaten „wieder die Menschen in den Mittelpunkt gestellt“ würden und nicht die Ideologien - so Nicola Procaccini von den italienischen Fratelli. Auch AfD-Politikerin Sylvia Limmer schimpft auf die „Green-Deal-Quacksalber“ und fragt: „Müssen Ihnen erst Eier, Gülle und brennendes Heu um die Ohren fliegen?“
Grünen-Agrarexperte Martin Häusling betont daraufhin, dass auch seine Fraktion Verständnis für die Proteste der Bauern habe. „Da muss man nicht die Bäume vor dem Parlament abfackeln“, fügt er hinzu. Sein Plädoyer
gilt ebenfalls dem Zusammendenken: Wer den Klimaschutz abschaffe, schädige die Zukunft der Landwirtschaft. Für seinen Fraktionschef Philipp Lamberts liegt das Problem im System, das die Bauern zu Gefangenen der Großgrundbesitzer, der Saatbesitzer und des Großhandels mache. Von den EU-Milliarden landeten nur 20 Prozent bei den wirklichen Landwirten, der Rest bei der Agrarindustrie. Die spanische Sozialistin Clara Aguilera unterstreicht das mit leckeren spanischen Apfelsinen, die im Kilo zwar fünf Euro kosteten, von denen beim Obstbauern aber nur 70 Cent landeten.
Der Ruf nach Reformen klingt an diesem Tag in Straßburg durch viele Redebeiträge. Nur über die konkreten Konturen herrscht nicht die geringste Klarheit. Einstweilen macht das Parlament gegen den Widerstand von
SPD, Grünen und Linken jedoch mehrheitlich den Weg frei für die Zulassung neuer Gentechniken in der EU. Pflanzen, die per Genschere gegen Schädlinge und Klimafolgen widerstandsfähiger werden, sollen nach
Meinung der Mehrheit aus Christdemokraten, Liberalen und Rechtspopulisten auf EU-Feldern wachsen können. Damit geht das Parlament nun in die Verhandlungen mit dem Rat.