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Von der Öffentlichkeit bislang größtenteils unbemerkt wird aktuell eine EU-Gesetzgebung zerpflückt: die EU- Gentechnikgesetzgebung. Sollte die Herausnahme der Neuen Gentechnik aus der bisherigen Gesetzgebung vollzogen werden, hätte das nicht nur gravierende Auswirkungen auf unsere Landwirtschaft und Ökosysteme. Es würde auch das Vorsorgeprinzip ignoriert, das Leitlinie der Umweltpolitik sein muss. Ein gerade veröffentlichtes Rechtsgutachten der Kanzlei GGSC, das die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen in Auftrag gegeben hat, zeigt auf, wie der vorgelegte Deregulierungsvorschlag sogenannter ‚Neuer Genomischer Techniken (NGTs‘) das Vorsorgeprinzip verletzt. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Umwelt- und Gesundheitsausschuss ist der verantwortliche Grüne für die parlamentarische Arbeit zu dem Deregulierungsvorschlag. Er kommentiert:  

„Das Rechtsgutachten über den Deregulierungsvorschlag für Neue Gentechnik der EU-Kommission zeigt klipp und klar: Hier wird das Vorsorgeprinzip offensichtlich mit Füßen getreten. Die möglichen Auswirkungen der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in empfindliche Ökosysteme werden ignoriert, VerbraucherInnen soll die Möglichkeit genommen werden, selbst zu entscheiden, ob sie gentechnisch verändertes Essen zu sich nehmen wollen oder nicht.

Der von der Agrarindustrie propagierte und von der EU-Kommission aufgegriffene Deregulierungsvorschlag besteht im Wesentlichen darin, dass Pflanzen und pflanzliche Erzeugnisse aus der aktuellen Gentechnikgesetzgebung herausgenommen werden, wenn sie mit dem Werkzeug der Neuen Gentechnik, wie Crispr Cas, erzeugt wurden. Das betrifft mehr als 90 Prozent aller Anwendungen der Neuen Gentechnik. Diese Pflanzen und ihre Erzeugnisse müssten dann vor ihrer Zulassung auf dem Markt keine Risikoprüfung mehr durchlaufen und nicht als Gentechnik gekennzeichnet werden. Begründet wird dieses beschleunigte und für die Hersteller von Gentechnik-Sorten wesentlich günstigere Verfahren durch eine künstlich kreiirte Gleichwertigkeit der gentechnisch erzeugten Sorten der sogenannten Kategorie 1 mit Pflanzen, die durch herkömmliche Züchtungstechniken hätten erzeugt werden können. Zudem dichtet die EU-Kommission diesen Gentechnikpflanzen das Prädikat ‚nachhaltig‘ an und behauptet, dass man bei ihrem Anbau weniger Pestizide bräuchte als beim Anbau anderer Pflanzen und sie zudem beim Kampf gegen den Klimawandel nützlich sein könnten, z.B. durch dürreresistente Sorten. Doch gibt es wissenschaftlichen Belege dafür seitens Agrarindustrie und EU-Kommission? Leider Fehlanzeige!

Das Rechtsgutachten zeigt auf, dass die Herausnahme der Neuen Gentechnik aus dem EU-Gentechnikrecht nicht wissenschaftlich begründet ist: Weder durch geringere Risiken noch durch einen größeren Nutzen von NGT-Pflanzen für die Allgemeinheit im Vergleich zu sonstigen GVO. Der Gesetzesvorschlag nimmt in Kauf, dass sich NGT-Pflanzen, die sich im Nachhinein als schädlich für Mensch oder Umwelt erweisen können, derart in der natürlichen Umwelt ausbreiten, dass sie später nicht mehr rückholbar sind. Diese Ausnahmeregelungen sollen ausgerechnet für die neuesten genomischen Techniken gelten, über deren mögliche schädliche Auswirkungen noch keine Erfahrungen vorliegen.

Das Rechtsgutachten folgert: ‚Sollte der Unionsgesetzgeber die Verordnung aber so beschließen, wie sie die Kommission vorgeschlagen hat, würde er aufgrund der dargestellten Widersprüche einen offensichtlichen Beurteilungsfehler machen und die Grenzen seines Regelungsspielraums überschreiten´.

Mein Fazit ist klar: Auch Neue Gentechnik ist Gentechnik und muss im EU-Gentechnikrecht geregelt bleiben. Ohne Schlupflöcher, ohne Ausnahmen und ohne Wenn und Aber! Denn Vorsorge ist besser als Nachsorge, die Auswirkungen der unkontrollierten Verbreitung von Gentechnik-Pflanzen wären absolut fahrlässig. Die damit verbundenen Risiken sind den propagierten Nutzen - der nach wie vor nur Wunschdenken ist - nicht wert.“

 

Hintergrund aus dem Rechtsgutachten:

LINK RECHTSGUTACHTEN

Das in den EU-Verträgen verankerte Vorsorgeprinzip bedeutet nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dass bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden.

Das Rechtsgutachten führt u.a. folgende Gründe dafür an, dass der Kommissionsvorschlag dem Vorsorgeprinzip widerspricht:

  • Das Wegfallen der Risikoprüfung ist weder durch per se geringere Risiken noch durch einen per se größeren Nutzen von NGT-Pflanzen für die Allgemeinheit im Vergleich zu sonstigen GVO wissenschaftsbasiert. Er nimmt in Kauf, dass sich NGT-Pflanzen, die sich später als schädlich für Mensch oder Umwelt erweisen, derart in der natürlichen Umwelt ausbreiten, dass sie später nicht mehr rückholbar sind. Diese Ausnahmen sollen ausgerechnet für die neuesten genomischen Techniken gelten, über deren mögliche schädliche Auswirkungen noch keine Erfahrungen vorliegen.
  • Die Privilegierung von NGT-Pflanzen gegenüber sonstigen GVO ist nicht durch einen generell höheren Nutzen von NGT-Pflanzen gegenüber sonstigen GVO zu rechtfertigen. Zwar betont die Kommission, dass NGT-Pflanzen einen besonderen Nutzen für Nachhaltigkeit, Ernährungssicherheit oder Autonomie haben können. Die Kommission liefert jedoch keine Anhaltspunkte oder gar Belege dafür, dass von der NGT-Pflanzen ausgehende potentielle Nutzen höher ist als derjenige sonstiger GVO. Ein solcher Nutzen ist ferne keine Voraussetzung für die Einstufung als und die Privilegierung von NGT-Pflanzen. Die Privilegierung kommt auch NGT-Pflanzen zugute, die schädliche Auswirkungen auf die genannten Ziele haben.
  • Für NGT-Pflanzen der Kategorie 1 (90% aller Anwendungen der Neuen Gentechnik) ist keine einzelfallbezogene Risikoermittlung vorgesehen.
  • Der Anwendungsbereich soll nur anhand abstrakter Vorgaben zur Art und Anzahl von Veränderungen der DNA bestimmt werden. Dadurch bliebt unklar, welches Spektrum veränderter Eigenschaften und welches damit verbundene Risikopotential NGT-Pflanzen der Kategorie 1 haben können.
  • Erzeugnisse aus NGT-Pflanzen der Kategorie I (mit Ausnahme von Saatgut) müssen nicht mehr gekennzeichnet werden. Im Falle einer erst nach dem Inverkehrbringen solcher Erzeugnisse festgestellten Gefährlichkeit der Erzeugnisse könnten dann keine wirksamen Schutzmaßnahmen (Aussonderung, Rückruf) getroffen werden, weil die betroffenen Erzeugnisse mangels Kennzeichnung nicht mehr erkennbar sind‘.

Eine maschinell erstellte Übersetzung des Rechtsgutachtens ins Englische und Fränszösische ist hier abrufbar:

englisch version / version française

Weitere Infos zum Deregulierungsvorschlag: https://martin-haeusling.eu/presse-medien/pressemitteilungen/3020-veroeffentlichung-des-gesetzesvorschlags-zu-neuer-gentechnik-leichtmatrosen-im-maschinenraum-der-natur.html

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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