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Muss Waldi sterben?
Die Grünen wollen Antibiotika für Haustiere verbieten, behaupten Tierärzte - dabei geht es um Menschenleben
Frankfurter Allgemeine Zeitung
3 September 2021
hmk. BRÜSSEL Können diese Hundeaugen lügen? "Mein Leben ist in Gefahr!", warnt das Plakat des Bundesverbands Praktizierender Tierärzte (bpt) mit dem traurig dreinschauenden Tier. "Bitte unterschreiben, damit auch in Zukunft alles für meine Gesundheit getan werden kann." Eine halbe Million Unterschriften will der Verband bis zum
8\. September sammeln und damit ein "starkes politisches Zeichen" setzen. "ALLE Tierärzte/innen ALLER Spezies müssen aktiv werden, damit Heimtierhalter, Pferdehalter und Landwirte angesprochen werden", heißt es auf der Internetseite. Sonst könne das Europaparlament im September beschließen, dass bewährte Antibiotika nicht mehr zur Behandlungen von Tieren genutzt werden dürften.
Ganz akkurat ist das - wie oft in Kampagnen - nicht. Tatsächlich geht es in der Abstimmung am 13. September auch nicht primär um Haustiere: Die EU-Abgeordneten müssen entscheiden, ob sie einen Vorschlag der Europäischen Kommission zur Umsetzung der EU-Tierarzneimittel-Verordnung annehmen - und die soll vor allem sicherstellen, dass es auch künftig ausreichend Reserveantibiotika für Menschen gibt. Weil immer mehr Bakterien resistent gegen gängige Antibiotika sind, müssen Ärzte verstärkt auf solche Antibiotika als "allerletztes" Mittel zurückgreifen. Oft hilft aber auch das nicht mehr. "33 000 Menschen sterben in der EU im Jahr, weil keines der verfügbaren Antibiotika mehr hilft", sagt der Abgeordnete der Grünen, Martin Häusling. Fachleute sprechen von einer schleichenden Pandemie. Neue Antibiotikagruppen werden kaum entwickelt. "Seit zehn, fünfzehn Jahren kommt nichts nach", warnt der Präsident des "Ständigen Ausschusses der Europäischen Ärzte", Frank Ulrich Montgomery.
Ein wichtiger Grund für die zunehmende Resistenz ist die Nutzung von Antibiotika in der Mast und Geflügelhaltung. Zwar gehen zwei Drittel der Resistenzen auf die Nutzung in der Humanmedizin zurück. Der Rest aber ist auf den Einsatz in der Mast von Schweinen, Kälbern und Geflügel sowie die Haltung von Legehennen zurückzuführen, sagt Andreas Striezel von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Dort werden die Antibiotika über Futter oder Tränkewasser an alle Tiere verabreicht, sobald nur einige Tier erkranken. Ebendas aber begünstigt die Entstehung von Resistenzen. Das sei umso ärgerlicher, da viele Krankheiten durch andere Haltungsbedingungen gar nicht auftreten würden, sagt Striezel.
Die Europäische Kommission will deshalb nun auf Basis der schon 2019 verabschiedeten Tierarzneimittel-Verordnung zumindest fünf der 35 Antibiotikagruppen grundsätzlich für Menschen reservieren, um das Risiko weiterer Resistenzen zu verringern. Vier davon werden auch in der Tiermedizin genutzt - und genau um diese vier Reserveantibiotika geht es in der Kampagne der Tierärzte. Die EU-Kommission hat dabei auf Erkenntnisse verschiedener Beratungsgremien und der Weltgesundheitsorganisation zurückgegriffen. Mit dem Vorschlag selbst haben der bpt, die Bundestierärztekammer und der Deutsche Tierschutzbund gar kein Problem. Denn der lässt durchaus zu, dass die betroffenen Antibiotika unter bestimmten Umständen für Tiere eingesetzt werden, um lebensbedrohende Infektionen zu bekämpfen. Das wiederum aber wollen die Grünen und Montgomery unbedingt verhindern - und dagegen laufen die Tierärzte Sturm.
Häusling und Montgomery befürchten, dass der Kommissionsvorschlag an der Praxis nichts ändert, Antibiotika weiter in der Massentierhaltung eingesetzt werden und es dann bald keine Reserveantibiotika mehr gibt. Die Grünen wollen den Vorschlag deshalb ablehnen. Im Umweltausschuss des Parlaments haben sie sich mit Unterstützung der Sozialdemokraten und Linken im Juli schon durchgesetzt. Um den Vorschlag endgültig zu kippen, muss Mitte September aber die absolute Mehrheit der Abgeordneten dagegenstimmen, und noch ist unklar, wie sich Christdemokraten und Liberale positionieren. Setzen sich die Grünen durch, muss die Kommission einen neuen Vorschlag vorlegen. Ein Antibiotikaverbot selbst, wie die Tierärzte behaupten, kann das Parlament nicht beschließen. Die Kommission müsste die Position des Parlaments bei ihrem neuen Vorschlag aber natürlich berücksichtigen.
Dramatische Folgen für die Massentierhaltung hätte ein Verbot von Reserveantibiotika nicht, sagt Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe. Das zeigten die Erfahrungen aus Skandinavien und den Niederlanden. Oft genüge es, die Tierhaltung und die Fütterung umzustellen, um Krankheiten zu verhindern. Zudem könnten Antibiotika, die nicht zu den fünf Reservegruppen gehörten, weiterhin eingesetzt werden. Um Hunde, Katzen oder Pferde wiederum gehe es ihm überhaupt nicht, sagt Häusling. Von der Behandlung von Haustieren mit Antibiotika gehe gar keine erhöhte Gefahr aus. Er setzt sich deshalb dafür ein, die Verordnung von 2019 selbst zu ändern. Denn bisher erlaubt die nicht, dass zwischen Haus- und Nutztieren unterschieden wird. Das wissen auch die Tierärzte. Häusling vermutet deshalb, dass es manchem von ihnen gar nicht darum geht, Haustiere zu schützen, sondern ihre Einnahmen aus dem Antibiotikaverkauf an Bauern zu schützen. Im Zweifelsfall müsse der Mensch allerdings ohnehin immer Priorität haben, fordert Montgomery: "Ein gerettetes Meerschweinchen darf nicht dazu führen, dass am Ende ein Mensch auf der Intensivstation stirbt."

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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