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Welt - von Elke Bodderas
Im Glyphosat-Streit wird oft vergessen: Viele Pflanzen haben bereits Resistenzen gegen das Herbizid entwickelt – auch in Deutschland. Die Landwirte haben in den vergangenen Jahren einen gravierenden Fehler gemacht.

Kanadisches BerufskrautDer Horror hat weiße, flauschige Blüten. Geben dürfte es ihn eigentlich nicht. Aber ein paar Hundert Meter vor seinem Fenster sieht Glyphosat-Experte Frank Telewski ihn stehen, seinen Horror. Er sieht hübsch aus, blüht und gedeiht und hat auch einen Namen: Kanadisches Berufkraut alias Katzenschweif. Es sprießt mit dem Mais auf dem Acker um die Wette. Es sind Hunderte Pflanzen. Ein Albtraum.

Telewski ist US-Botanikprofessor, seit Jahren erforscht er an der Universität East Lansing im Bundesstaat Michigan Unkräuter. Vornehmlich jene, die auf landwirtschaftlichen Nutzflächen um einen Platz an der Sonne ringen. Telewski kennt sie alle, sämtliche Arten und Sorten unter jedweden Klimabedingungen und in allen Erdteilen. Er weiß: Unkraut kann sehr wohl vergehen. Aber das da, was vor seinem Fenster auf den Mais- und Rapsfeldern heranwächst, nimmt er mit einem selten gewordenen Gefühl zur Kenntnis. Es ist Ratlosigkeit.
Horrende Preisentwicklung bei Herbiziden

Erstmals in seinem Forscherleben sieht er Superunkräuter gedeihen, ganz unbeeindruckt von allen chemischen Mitteln. Telewski ist täglich in der Landwirtschaft unterwegs, und er weiß: Über Generationen haben Bauern hochgezüchtete selbstbestäubende Pflanzen gesät. Dieser Saatgutinzest, kombiniert mit übermäßig viel Totalherbiziden, hat Unkräuter entstehen lassen, die ohne Schaden alles hinnehmen, was die Agrarindustrie an chemischen Keulen bislang entwickelt hat.

In Europa wächst das Problem mit den Superunkräutern erst heran. In den USA kämpft bereits jeder zweite Bauer gegen Pflanzen auf dem Acker, die unempfindlich sind gegen das Breitbandherbizid Glyphosat. Der Hersteller Monsanto empfiehlt in diesen Fällen: einfach noch mehr davon. Doch mit jedem Liter Gift steigt die Auswahl der Pflanzen, die Resistenzen gegen das Herbizid entwickeln.

Was das bedeutet, ist gerade in manchen Regionen der USA zu sehen. Es bedeutet Arbeit, Aufwand, Fleiß. Wie früher üblich rücken die Bauern mit dem Pflug oder in Arbeiterkolonnen aus, um das Unkraut mechanisch auszulesen. Das kostet. Ganz billig ist aber auch der immer heftigere Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln nicht mehr.

Das Fachmagazin „Science“ hat die Preisentwicklung für Herbizide auf US-amerikanischen Soja- und Baumwollplantagen über die Jahre verfolgt – sie vervielfachten sich bei Soja von 25 Dollar auf mehr als 160 Dollar, bei der Baumwolle von 75 Dollar auf rund 370 Dollar. Am schlimmsten fällt in den USA der Fuchsschwanz über die Felder her. Das Gewächs macht inzwischen auch deutschen Bauern zu schaffen.

Das Unkraut verseucht vor allem Weizenfelder in Norddeutschland und ist im Lauf der Jahre so unempfindlich gegen Pflanzengifte geworden, dass nur noch rabiate Masseneinsätze wirken. Manche Bauern besprühen ihre Äcker mehrfach hintereinander mit Glyphosat. Manche verzichten darauf. Sie lassen ihre Felder lieber bis zu zwei Jahre brach liegen.

„Der Ackerfuchsschwanz breitete sich extrem schnell aus“, sagt der EU-Abgeordnete Martin Häusling (Grüne). Er sieht das als Zeichen, dass „das Prinzip der industriellen Landwirtschaft mit dem immer mehr gesteigerten Einsatz von Glyphosat in der Sackgasse ist“. Es bahnt sich die Einsicht an, dass Pestizide auf den Feldern die gleiche Wirkung haben wie Antibiotika in Schweineställen: Sie bringen resistente Krankheitserreger im einen und superresistente Unkräuter im anderen Fall hervor.

Was sind die Alternativen?
Auch in Deutschland gibt es inzwischen eine Bandbreite resistenter Unkräuter auf den Äckern. Aber anders als in den USA wird Glyphosat hierzulande zwischen den Aussaaten auf dem Feld versprüht. In den meisten Ländern Europas wirkt das „chemische Pflügen“, wie Monsanto es nennt, offenbar noch. Doch Experten sind sich sicher, dass sich die Unkräuter auch hier anpassen werden, eine Datenbank der glyphosatresistenten Gewächse in Europa ist angelegt.

Aber was sind die Alternativen? „Die Bauern sollten in ihre Lehrbücher von vor 20 Jahren schauen, dann hätten sie diese Probleme nicht mehr“, sagt Häusling. Die deutschen Landwirte vernachlässigten die Fruchtfolge. Je abwechslungsreicher gepflanzt wird, desto ungünstiger die Bedingungen für Unkräuter. „Statt wie noch in den 80er-Jahren Raps, Weizen und Gerste im Wechsel anzubauen, pflanzen sie oft einmal Raps und dann in zwei aufeinanderfolgenden Jahren Weizen an.“ Das bringe zwar bis zu 20 Euro mehr pro Hektar. „Doch diese Art von intensivem Getreideanbau in der Landwirtschaft wird nicht mehr lange funktionieren.“

Was ihnen blühen kann, zeigt der Fall Großbritannien: Dort ist das Problem mit dem resistenten Ackerfuchsschwanz im europäischen Vergleich am massivsten. Auch hier bauten Landwirte Jahr um Jahr dasselbe an: Weizen. Um die Pflanzen zu schützen, versprühten sie stets dasselbe Gift, das inzwischen vielfach unwirksam geworden ist. Und nun? Britische Bauern holen wieder ihre Pflüge aus den Schuppen. Oder versprühen Glyphosat, was wieder zurück zur aktuellen Frage in der Landwirtschaft führt: „Was passiert, wenn Unkrautvernichter nicht mehr vernichten?“

Darauf hatten Wissenschaftler im US-Magazin „Science“ bereits im Jahr 2014 geantwortet: Es seien keine Pflanzengifte in Sicht, die sowohl wirksam als auch ökologisch verträglich seien. Es klingt deshalb banal, aber fürs Erste zutreffend, wie Häusling das Glyphosat-Problem zusammenfasst: „zurück zur ökologischen Landwirtschaft“.

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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