Grüne Europagruppe Grüne EFA

Kommentar zum Beitrag von Theresia Bauer, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg
in: Spiegel-Online vom 24.06.2018

Was den nicht mehr verwirklichbaren Wunsch nach einer unberührten Natur angeht, gebe ich der Autorin Recht: der Mensch hat immer verändert und manipuliert und wird das weiter tun. Wir wollen alle weder ohne die Entdeckung des Feuers leben, noch ohne Glühlampe oder Kühlschrank. Jedoch ist Einflussnahme eben nicht gleich Einflussnahme. Und um genau hier gesellschaftlich zu einer vernünftigen Abwägung zwischen technischen Möglichkeiten und Risiko zu kommen, haben wir in Europa das Vorsorgeprinzip in allen Politikbereichen als horizontales Gesetzgebungsprinzip verankert, zum Beispiel im EU-Chemikalienrecht (REACH) und auch im Gentechnikrecht.

Das Europäische Gentechnikrecht ist weltweit – vor allem auf erfolgreichen Grünen Druck hin - ein ganz besonderes Beispiel für die Anwendung des Vorsorgeprinzips. Es als Verhinderungswerkzeug von CRISPR/CAS-Gegnern darzustellen, übernimmt nicht nur eine polemische Argumentation derer, die ganz klare schnelle finanzielle Interessen an den Einsatz von CRISPR/CAS hängen und die Risiken deshalb herunterspielen, sondern untergräbt auch die wertvolle Errungenschaft des Vorsorgeprinzips generell. Wer sich dafür entscheidet, das Vorsorgeprinzip anzuwenden, verhindert ja nicht in jedem Fall etwas.

Im Fall des Gentechnikrechts erlegt die Anwendung desselben den Produkten bzw. Produzenten neuer Schöpfungen vor allem Nachprüfbarkeit, Kontrolle und Evaluierung der Auswirkungen auf. Und das gebietet bei einer Technologie deren Auswirkungen bisher nicht bekannt sind, deren Wirkmächtigkeit aber enorm ist, sowohl der gesunde Menschenverstand, es müsste darüber hinaus aber auch von ureigenem wissenschaftlichen Interesse sein, nachzuverfolgen, was eigentlich passiert.

In ihrem Beitrag stellt sich die Autorin auf den Standpunkt, der Vorwurf der Unsachlichkeit gegenüber Kritikern der „Neuen Züchtungs-Methoden“ unter „Grünen und Umweltaktivisten“ sei berechtigt.

Das stellt eine sehr pauschale und undifferenzierte Aussage dar, die leider im Folgenden in keiner Weise differenzierter dargelegt wird. Mag sein, dass es unsachliche Aussagen gibt. Aber ich persönlich sehe das – zum Teil auf haarsträubende Art - auch bei den Befürwortern. Abgesehen davon gibt es durchaus sachliche Argumente und Kritik von ausgemachten Fachleuten und Wissenschaftlern und nicht alle, die Kritik äußern, stehen den neuen Techniken komplett ablehnend gegenüber. Die allermeisten stellen Vorsorge und Wahlfreiheit ins Zentrum ihrer Argumentation.

Was mich im weiteren Verlauf des Beitrags erstaunt, ist die Vermengung von roter Gentechnik (gentechnisch hergestellte Medikamente oder Impfstoffe; Gentests, um Krankheiten zu entdecken; Versuche, Menschen mit Hilfe von Gentheraphie oder Genscheren zu heilen), weißer Gentechnik (Einsatz gentechnisch veränderter Mikroorganismen Zellkulturen oder Enzymen für die industrielle Herstellung verschiedener Produkte wie Vitamine, Lebensmittel oder Biogas) und grüner Gentechnik im Bereich der Landwirtschaft. Diese verschiedenen Bereiche wurden bisher innerhalb der Grünen Partei unterschiedlich und, wie ich finde – differenziert - bewertet, weil es gute Gründe gibt, sie bei der Bewertung getrennt zu betrachten, sei das nun aus ethischen oder technischen Gründen (abgeschlossene Systeme versus unkontrollierte Ausbreitung in der Natur). Ich halte eine Vermengung dieser Bereiche für eine klärende Diskussion über Risiken nicht für besonders zielführend, um nicht zu sagen: für unsachlich.

Im Folgenden möchte ich mich daher auf den Bereich der grünen Gentechnik beschränken, weil ich hier nach jahrelanger Auseinandersetzung mit diesem Thema, weiß, wovon ich spreche.

Prof. Arnim von Gleich, Uni Bremen, der in den neunziger Jahren im Bereich Technikfolgenabschätzung den Begriff der „Eingriffstiefe“ prägte und dem man sicherlich nicht unterstellen kann, denMöglichkeiten von CRISPR/CAS etc. pauschal ablehnend gegenüber zu stehen, hat dazu festgestellt, dass es im Fall von CRISPR/CAS etc. noch zu früh sei, von Chancen und Risiken zu sprechen, bislang könne man nur Nutzenversprechen und Besorgnisgründe beurteilen. Als Beispiele nannte er die "hohe Eingriffstiefe und Wirkmächtigkeit" dieser neuen Technologie im Ökosystem. Seine Maxime sei: "Handle so, dass du noch korrigierend eingreifen kannst, wenn etwas schief geht." (1)

Prof. von Gleich spricht sich ganz klar für eine Technikfolgenbewertung sowie eine Evaluierung der Technologie und der (Öko-) Systeme, in die eingegriffen wird, aus.

Genau das sichert die Gentechnik-Richtlinie 2001/18. Sie schreibt ein Standortregister vor und damit Kontrollierbarkeit und Transparenz, wo und wann mit CRISPR/CAS veränderte Pflanzen angebaut werden und es muss ein Monitoring und eine Evaluation stattfinden, wie diese Pflanzen sich in der Umwelt verhalten. Ohne Zulassung innerhalb der Gentechnik-Richtlinie gäbe es keinerlei Verpflichtung zu Monitoring und Evaluation und damit auch keinerlei Erkenntnisse über Risiken und Verhalten der Organismen in der Umwelt, die der Allgemeinheit zugänglich wären. Das können eigentlich auch die befürwortenden Wissenschaftler nicht wollen, denn es wäre ein riesiger Erkenntnisverlust.

Genau diese Auflagen sichern außerdem, dass kleine und mittlere Unternehmen oder Privatpersonen sich nicht außerhalb des Kontrollbereiches betätigen dürfen. Und das halte ich nicht für undemokratisch, sondern für einer solchen Technologie angemessen. Schon heute kann man sich in Europa aus den USA kleine Bausätze zur Genveränderung (Kits) im Internet bestellen. Damit kann so ziemlich jeder auf eigene Faust mit Hilfe der Genschere munter Organismen neu erschaffen (Do-It-Yourself-Biologie). Noch ist die Anwendung der Kits in Europa illegal, aber wollen wir, dass so etwas legal möglich ist? Genetische Technologie ist aus meiner Sicht ungeeignet für Grauzonen und Hobbybiologen.

Abgesehen davon hätten Landwirte keine Wahlmöglichkeit mehr und gentechnisch erzeugte Pflanzen würden in die konventionelle gentechnikfreie und in die ökologische Produktion gelangen können, ohne dass dies kontrollierbar wäre. Dies wäre nicht nur ökologisch fragwürdig sondern auch aus Wettbewerbsgründen kaum vertretbar, denn der Ökolandbau schließt die direkte Veränderung der DNA zu Züchtungszwecken in seinen Richtlinien weltweit aus und auch das EU-Recht verbietet sie.

Um es abschließend nochmals klarzustellen: die Kritiker innerhalb der Grünen Partei sagen nicht: man muss diese Techniken verbieten. Aber sämtliche Fachpolitiker im Agrar- und Umweltbereich sind ganz eindeutig für eine Regelung innerhalb der Gentechnik-Richtlinie mit Wahrung des Vorsorgeprinzips, weil dies aktuell die fortschrittlichste Regelungsmöglichkeit darstellt, die wir in Europa haben.

Darüber hinaus sind die Agrar- und Umweltsprecher sich einig, dass sie andere, vor allem systemische, Techniken, im Agrarbereich für vielversprechender halten, wenn es um die aktuellen Probleme der Landwirtschaft geht.  (siehe Positionspapier der grünen Agrar- und Umweltsprecher*innen).

 

(1) siehe auch

Deutscher Ethikrat: Biotechnik darf kein Geheimwissen bleiben
https://www.epd.de/zentralredaktion/epd-zentralredaktion/schwerpunktartikel/deutscher-ethikrat-biotechnik-darf-kein-ge

Technikfolgenabschätzung für Gene Drives - Fokus Agrarsysteme
Prof. Arnim von Gleich, Fachgebiet Technikgestaltung und Technologieentwicklung, Universität Bremen
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/ht-26-10-2017-von-gleich.pdf

 

Weitere Infos:

Positionspapier von Martin Häusling
https://www.martin-haeusling.eu/images/180417_Positionspapier_Martin_H%C3%A4usling_neue_Z%C3%BCchtungstechniken_CrisprCas_final_.pdf

Positionspapier der grünen Agrar- und Umweltsprecher
https://www.martin-haeusling.eu/images/180524_Positionspapier_zu_den_neuen_Gentechniken_B90_Die_Gruenen.pdf

Publikation

KAB

Zunehmende Probleme beim Pestizideinsatz erfordern entschiedenes Umdenken

von Martin Häusling im Kritischen Agrarbericht 2019

Pestizide gelten in der Agrarindustrie seit dem Zweiten Weltkrieg als »unentbehrlich«. Dabei ist die Geschichte ihres Einsatzes gekennzeichnet von Sicherheits- und Unbedenklichkeitserklärungen, von auftretenden Problemen und daraus zwingend erforderlichen Verboten. Die Grundlagen eines auf intensiven Pestizideinsatz setzenden Anbausystems sind die Züchtung auf Hochertrag, intensive Stickstoff düngung und enge Fruchtfolgen. Doch anstatt dieses System angesichts der Folgen für Mensch, Natur und Umwelt insgesamt infrage zu stellen, wird am Pestizideinsatz festgehalten – trotz zunehmender Zweifel an diesem Anbausystem auch aus der Wissenschaft. Die eigentlich fortschrittliche EU-Gesetzgebung zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden, die auf Pestizidreduktion setzt, wird von allen Mitgliedstaaten mehr oder weniger unterlaufen. Für den Autor des folgenden Beitrages ist die Zeit der Agrarchemie vorbei und agrarökologische Anbausysteme notwendig. Ähnlich dem Klimaabkommen von Paris fordert er ein internationales Abkommen zum
Pestizidausstieg.

Link zum vollständigen Beitrag "Die Uhr tickt"

Online Vollversion Kritischer Agrarbericht 2019

160606 Faltblatt Neu Züchtungsmethoden Gentechnik NBTInfo-Faltblatt

Der Schutz von Umwelt und Gesundheit ist in der Europäischen Union ein wichtiges Ziel. Um Menschen, Tiere und Pflanzen vor Gefahren zu bewahren, gelten in der EU spezielle Gesetze für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in der Landwirtschaft1. Vor der Zulassung für den Anbau oder die Verwendung in Lebens- oder Futtermitteln müssen mögliche Risiken durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)2 geprüft werden. Wer GVO verkauft, muss diese eindeutig auf der Packung kennzeichnen. Die EU-Gentechnikgesetze haben mehrere Schwächen. So müssen Milch, Eier und Fleisch von Tieren, die mit GVO gefüttert wurden, nicht gekennzeichnet werden. Auch beruht die Risikoprüfung auf Studien, die von der Industrie selbst durchgeführt werden. Doch immerhin haben die EU-Gesetze dazu beigetragen, die europäische Landwirtschaft weitgehend gentechnikfrei zu halten.

Weiterlesen im Faltblatt

140926 Titelbild SuperweedsRESISTENTE UNKRÄUTER BEDROHEN DIE ERNTE!

SUPERWEEDS - DAS PRINZIP INDUSTRIELLE LANDWIRTSCHAFT IN DER SACKGASSE!

Gentechnik in den USA:
Herbizidresistente Unkräuter; steigende Mengen und toxische Wirkung von Herbiziden, die auf die Pflanzen versprüht werden; Verlust von biologischer Vielfalt durch den Herbizideinsatz sowie das Ausbleiben der erhofften Ertragssteigerungen.
Dies alles veranschaulicht der Gentechnikexperte Christoph Then in der von den europäischen Grünen und mir in Auftrag gegebenen Studie.
Aber auch bei uns entwickeln Unkräuter und Schädlinge Resistenzen gegen einige der angewandten sogenannten „Pflanzenschutz“-Mittel – allen voran Glyphosat - und verbreiten sich mehr und mehr. Dieses Problem ist in der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt. Umso wichtiger, dass Runa Boeddinghaus in ihrem Beitrag zur Studie dieses genau beleuchtet.

 

Studie zu resistenten Unkräutern, die inzwischen auch in Europa Ernten bedrohen, 2014
Then C.; Boeddinghus R. 2014: Superweeds – Resistente Unkräuter bedrohen die Ertnte! Das Prinzip industrielle Landwirtschaft in der Sackgasse.
http://www.martin-haeusling.eu/images/BroschureSuperWeeds_Web_.pdf

hamburg-212405 640Seit Wochen steht das TTIP im Brennpunkt der öffentlichen Diskussion. Auch die Zeitschrift Politische Ökonomie sowie das Slowfood Magazin haben in ihren jüngsten Ausgaben das geplante Abkommen zum Debattenthema gemacht und haben Beiträge von mir veröffentlicht.

Slowfood Magazin 2/14 Freihandel - der große Ausverkauf

Politische Ökologie Band 136 (3/14), S.128ff - Chlorhühnchen und die Demokratie_Transatlantisches Freihandelsabkommen

140123 Titel Cyberkrieg GVOKritische Bestandsaufnahme einer neuen Dimension der Gentechnik.

Eine Studie im Auftrag von Martin Häusling, MdEP

Autor: Christoph Then

Eine neue Generation von Gentec-Pflanzen steckt in der Pipeline. Viele davon sind in den USA schon im Einsatz. Nach wie vor sind die Eigenschaften Herbizidresistenz und Insektengiftproduktion vorherrschend, aber inzwischen auf einem ganz anderen Niveau: Diese gentechnisch eingebauten Eigenschaften werden zunehmend in sogenannten Stacked Events gekreuzt. Spitzenreiter unter diesen Kreuzungen sind Pflanzen, die gegen vier Unkrautvernichtungsmittel gleichzeitig resistent sind und ein halbes Dutzend Insektengifte auf dem Acker produzieren – 24 Stunden lang, jeden Tag.

140113 Titelbild TTIPKein transatlantisches Freihandelsabkommen auf Kosten europäischer Verbraucher!
Eine kritsche Analyse zum Freihandelsabkommen EU-USA

13.01.14 Eine Studie im Auftrag von Martin Häusling, MdEP
Autoren: Reinhild Benning, Stephan Börnecke, Pia Eberhardt, Karen Hansen-Kuhn, Hannes Lorenzen, Arnd Spahn

Seit Juni 2013 verhandeln Europa und die USA über die bisher größte Freihandelszone der Welt – das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP). Mit Nachdruck werden dies- und jenseits des Atlantiks die vermeintlich positiven Effekte für ein dringend benötigtes Wirtschaftswachstum in Zeiten der Krise gepriesen. Doch die so einmütig beschworene „Win-Win-Situation“ klammert aus, welch tiefgreifende Interessenskonflikte im Agrar-, Umwelt- und Verbraucherschutzrecht hinter den Verhandlungen stecken.

Positionspapier

Video

180321 ARD BayerMonsanto

Mit Glyphosat und Gen-Saat - Wie Bayer mit Monsanto die Landwirtschaft verändern will

vom 22.03.2018 | 43 Min. | Verfügbar bis 22.03.2019 | Quelle: Das Erste

Es soll die größte Fusion der deutschen Wirtschaftsgeschichte werden: Bayer aus Leverkusen will den US-Konzern Monsanto übernehmen, der den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat herstellt. Auf dem Weg zur Fusion lauern große Risiken.