Bericht zur STUDIENVORSTELLUNG „Vom Mythos der klimasmarten Landwirtschaft –
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Freitag, 19. Oktober 2018. Hauptgeschäftsstelle Verband kommunaler Unternehmen (VKU), Invalidenstr. 91, 10115 Berlin.
Am 19. Oktober lud Martin Häusling ein zu einer Studienvorstellung zum Thema klimasmarte Landwirtschaft „Warum weniger vom Schlechten nicht gut ist“. In der Studie sowie der sich anschließenden Debatte mit Expert*innen und dem Publikum ging es – vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Klimakrise – um die drei zentralen Fragen: Wie kann der Agrarsektor die Treibhausgasbilanz zu Gunsten der Kohlenstoffspeicherung verlagern? Wie kann er sich auf zunehmende Extremwetterlagen vorbereiten? und Welche Rolle können dabei Techniken wie Präzisionslandwirtschaft einerseits oder aber ökosystemare agrarbiologische Konzepte andererseits spielen? Tanja Busse, Gewinnerin des Journalistenpreises „Bio“ 2010 und des „Wertewandel“-Preises des Deutschen Tierschutzbundes 2018, leitete durch das Programm.
Martin Häusling wies in seinem Eingangsstatement darauf hin, dass die Landwirtschaft sowohl Verursacherin als auch Betroffene des Klimawandels ist und darüber hinaus das Potenzial habe, zu seiner Begrenzung beizutragen. Für die praktische Landwirtschaft sei es besonders wichtig, ja existenziell, Anpassungssysteme zu entwickeln bzw. wieder zu entdecken, die eine Minimierung der Risiken durch den Klimawandel mit sich bringen. Deshalb müssten die landwirtschaftlichen Systeme in erster Linie auf Widerstandsfähigkeit – Resilienz – statt auf Höchsterträge ausgerichtet werden, so Häusling. Es gelte, landwirtschaftliche Systeme zu optimieren. Eine Absage müsse die Landwirtschaft hingegen jeder Maximierung der CO2-Speicherung für den Emissionshandel erteilen. Bodenfruchtbarkeit sei etwas völlig anderes als ein unterirdisches CO2-Sparbuch.
Dr. Andrea Beste, Agrarwissenschaftlerin, Geografin und Bodenexpertin, die in ihrem Studienteil den Schwerpunkt auf den Ackerbau gelegt hatte, betonte, dass die Kuh als solche zu Unrecht am Pranger stünde. Neben den sicherlich ernstzunehmenden Methanemissionen, die von Kühen ausgehen, würden bisher die Lachgasemissionen, die aufgrund des massiven Einsatzes von Mineraldünger entstehen, kaum erwähnt. Diese seien 12mal klimaschädlicher als Methanemissionen. Auch die im vorgelagerten Bereich anfallenden Emissionen der Pestizid- und Düngemittelproduktion, sowie die der - meist in Übersee stattfindenden – Futtermittelproduktion, die dann als Gülle den Dünger stellt, würden bisher nicht in die Klimabilanz des Ackerbaus eingerechnet, so Beste. Die vermeintlich heilsbringenden Präzisionstechniken der industriellen Landwirtschaft, mit der Nährstoffgehalte bedarfsgenau ausgebracht werden sollen, entzauberte Beste insoweit, als sie darauf hinwies, dass es viele Bodennährstoffe gibt, deren Gehalte bis heute gar nicht flächendeckend einheitlich gemessen werden können. Es gäbe alleine in Europa 16 unterschiedliche Methoden, Phosphor im Boden zu messen, und auch die seien höchst ungenau. Von „Präzision“ sei die Präzisionstechnik hier noch weit entfernt. Weitaus wirkungsvoller für klimaschonende und gleichzeitig klimastabile Systeme sei es, den ökologischen Landbau mit Techniken wie Permakultur und Agroforst zu verknüpfen, was darüber hinaus auch positiv für den Landschaftswasserhaushalt und viele andere Ökosystemdienstleistungen sei.
Dr. Anita Idel, Tierärztin, Beweidungsexpertin und Mediatorin, hatte den Schwerpunkt ihres Studienteils auf die Nutzung des Graslandes gelegt. Sie kritisierte, dass dessen spezielle Charakteristika in der Wissenschaft meist nicht beachtet und seine Potenziale für Bodenfruchtbarkeit und Klimaentlastung in der Folge völlig unterschätzt würden. So folgten Graslandgesellschaften, die mit weltweit 70 Prozent den überwiegenden Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmachten, völlig anderen Wachstumsdynamiken als andere Pflanzen – infolge der seit 60 Mio Jahren andauernden Co-Evolution zwischen Weideland und Weidetieren. Während Gräser den „Biss“ bräuchten, um zu wachsen, löse der „Verbiss“ bei anderen Pflanzen eine Wachstumsdepression aus, hob Idel hervor. Diese würden deshalb einen erheblichen Energieaufwand betreiben, um sich gegen den „Verbiss“ zu wehren – mit Stacheln, Dornen, Bitter- oder Giftstoffen. Dass Gräser viel mehr unter- als oberirdische Biomasse bilden als Bäume (Spross-Wurzel-Verhältnis), würde in der Wissenschaft meistens verkannt, weil bei Vergleichen mit Grasland nicht der Zeitraum zugrunde gelegt würde, während dessen die Bäume bzw. der Wald gewachsen seien. Stattdessen müssten Vergleiche sowohl die tierischen Produkte als auch die organische Bodenbiomasse berücksichtigen, die in dieser Zeit gebildet worden seien. Denn in der Folge wäre weltweit in den Böden des Graslandes 50 Prozent mehr Kohlenstoff gespeichert als unter Wäldern. Idel widerlegte auch die Mythen, wonach Kühe als schlechte Futterverwerter bzw. Klimakiller gelten, auf Hochleistung gezüchtet werden sollen und mehr Kraftfutter als Gras fressen sollen. Das jeweils wissenschaftlich nicht angemessene Studiendesign führe zwangsläufig zu diesen – für das Klima kontraproduktiven – Schlussfolgerungen.
Patrik Worms, World Agroforestry Centre, begann seinen Vortrag mit einer kritischen Bilanzierung der Intensiv-Landwirtschaft: Im Vergleich zum erwirtschafteten BIP verschlinge dieser Sektor extrem viele Ressourcen – Süßwasser, Land, Arbeitskräfte - und sei zudem Nettoemittent von Kohlenstoffdioxid, Methan und Lachgas. Daher plädiere er für ganz andere Systeme – die Agro-Forst- oder Agro-Forst-Weide-Systeme, Nutzungsformen, in denen Ackerkulturen zusammen mit Bäumen gepflanzt werden. Baumsysteme würden hart für die Menschen arbeiten, betonte Worms und verwies speziell auf die Leguminosen unter den Bäumen. Bei manchen Bäumen würden während der Trockenzeit neue Blätter sprießen und Schatten geben. Bäume mit Zugang zu tieferliegenden Wasseradern seien eine gute Dürre-Prävention. Bisher seien Agroforstsysteme insbesondere in Ländern des Südens bekannt. Worms sieht allerdings auch in Europa große Potentiale und sprach sich für mehr Forschungsmittel aus – insbesondere jetzt, wo die Gemeinsame Agrarpolitik und deren Finanzierung auf EU-Ebene neu verhandelt würden.
Tobias Reichert, Teamleiter Welternährung, Landnutzung und Handel bei Germanwatch e.V., zeigte sich überzeugt, dass die propagierten Klimaziele mit einem „Weiter-so“ nicht zu erreichen sind – die bisherigen Ansätze reichten bei weitem nicht aus. Der Welt-Klimarat empfehle, stärker auf "Klimasenken" zu setzen. Grasland habe eine Senkenfunktion, deren Potential noch kaum genutzt würde, so Reichert. Es fehle auch in diesem Feld an Forschung und Forschungsmitteln. Hinsichtlich der Methanemissionen schloss sich Reichert Idel an. Intensive Rinderhaltungssysteme seien extrem klimaschädlich, denn sie würden auf klimaschädlich angebautem Kraftfutter basieren. Hingegen sei eine an das vorhandene Grasland gebundene Rinderhaltung mit weniger Rindern pro Fläche in seinen Augen letztlich eine gute Lösung, um Methanemissionen zu kompensieren. Ein weiterer Effekt von Weidesystemen mit geringen Viehdichten sei auch, dass nachhaltige Graslandbewirtschaftung Klimaschwankungen wie Dürren und Starkregen besser ausgleichen könne, als Ackersysteme.
Sigried Griese, Bioland, Abteilung Forschung und Entwicklung, berichtete aus der Praxis des SOLMACC-Projektes. In dem 5-Jahresprojekt forschten Wissenschaftler zusammen mit Biolandwirten in ganz Europa zu Klima schonenden und Boden stabilisierenden Ackerbaupraktiken – einschließlich Agroforstsystemen. Über Agroforstsysteme fehle Wissen, doch es bestehe großes Interesse, dazu mehr zu erfahren und diese auszuprobieren. Griese sieht es kritisch, dass in der landwirtschaftlichen Beratung Agroforstsysteme oft übersehen werden. Deren Erprobung müssten vielmehr gefördert werden.
Dr. Luca Montanarella, verantwortlich für das European Soil Data Centre (ESDAC) in der Gemeinsamen Forschungsstelle (Joint Research Center) der Europäischen Kommission in Ispra, kommentierte aus der Ferne per Videobotschaft: Er beglückwünschte die beiden Autorinnen zu ihrer Studie und hob deren wissenschaftliche Qualität hervor. Mit Zeitpunkt und Ausrichtung träfen sie den Nerv der Zeit, denn Klimaanpassung und Klimaschutz müssten in der Landwirtschaft national und international immer relevanter werden. In diesem Sinne sei die Studie ein sehr konstruktiver Beitrag zur aktuellen Debatte.
Auch in der sich anschließenden engagierten Diskussion mit und zwischen den Teilnehmer*innen der Veranstaltung wurde die Komplexität der Herausforderungen und Potenziale erkennbar.
Eine Schlüsselfunktion bei der Umstellung auf klimafreundlichere Systeme spiele auch die Rentabilität auf Betriebsebene. Niemand würde zum "Klimawirt", wenn eine Maßnahme nicht wirtschaftlich tragbar sei. Große Zustimmung fand der Ansatz der Studie, wonach die isolierte Berechnung von Einzelemissionen, wie Methan bei Milchkühen, nicht zielführend und sogar kontraproduktiv sei. Vielmehr müsse man die Gesamtemissionen eines Systems betrachten und deren Umweltwirkung. Um die Umwelteffekte der Intensivlandwirtschaft in den Griff zu kriegen, sei auch das Nachdenken über eine Stickstoff- und Pestizidabgabe unausweichlich.
Die Debatte über eine klimasmarte Landwirtschaft werde noch überwiegend intern unter Fachleuten geführt, während in der Bevölkerung ein Informationsdefizit bestehe. Bei Konsument*innen bestünde noch kein ausreichend großes Interesse am Thema. Die Fachszene werde überwiegend von der mächtigen Agrarchemie-Lobby und deren Marktinteressen dominiert, die einen auf Technik und Intensivierung orientierten Kurs in der Politik forciere. Das starke wirtschaftliche Interesse einiger Hersteller der Präzisionstechnik sei in den Ministerien spürbar, berichtete eine Teilnehmerin. Notwendig sei, auf allen Ebenen darüber zu informieren, dass Technik allein die Herausforderungen nicht bewältigen könne. Vielmehr müssten die biologischen Potenziale nachhaltiger Entwicklung gefördert und die Agrarsysteme darauf ausgerichtet werden.
Grußwort und Videobeitrag von Dr. Luca Montanarella
Pressebericht
https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-10/smart-farming-landwirtschaft-klimawandel-digitalisierung
Interview mit Dr. Andrea Beste in "Die Zeit" vom 18. Okt 2018
Präsentationen
- Dr. Anita Idel (3 MB)
- Dr. Andrea Beste (1MB)
- Patrik Worms (6MB)