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RP-Online -  Berlin/Straßburg. Das EU-Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das Anbauverbote für gentechnisch veränderte Pflanzen den Mitgliedstaaten überlässt. Die Bundesregierung will dem Anbau in Deutschland aber keine Chance geben. Von Jan Drebes und Christopher Ziedler

Am Ende einer jahrelangen Auseinandersetzung ist der Kompromiss mit riesiger Mehrheit akzeptiert worden: Das Europaparlament verabschiedete gestern in Straßburg mit 480 Ja- gegen 159 Nein-Stimmen neue Regeln zum Anbau genveränderter Organismen in der Europäischen Union, die bis spätestens April in Kraft treten werden. Sie bieten den Mitgliedstaaten künftig mehr Rechtssicherheit, wenn sie etwa Genmais auf ihrem Territorium verbieten wollen. Das dürfte auch auf Deutschland zutreffen.

Bisher ist die Lage verfahren: Nur eine Genpflanzensorte wurde bisher europaweit zum kommerziellen Anbau zugelassen, die Mais-Sorte "Mon 810" des US-Konzerns Monsanto. In fünf EU-Staaten wird sie angebaut; neun Staaten, darunter auch Deutschland, zogen daraufhin eine Schutzklausel, die allerdings nur zeitlich begrenzt gilt und von Monsanto vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten wurde. "Mit der jetzigen Rechtslage haben die Mitgliedstaaten überhaupt keine Möglichkeit, den Anbau von Genpflanzen zu verbieten", sagte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese gestern in der Debatte.

Aufgelöst wurde die rund vierjährige Blockade nach einer politischen Blamage im vergangenen Februar: Nachdem die EU-Lebensmittelbehörde in Parma keine wissenschaftlichen Bedenken gegen die Genmaissorte "Pioneer 1507" gefunden hatte, war die EU-Kommission gerichtlich dazu gezwungen worden, den Mitgliedstaaten die Zulassung vorzuschlagen, welche diese wiederum nur mit einer Dreiviertelmehrheit hätten verhindern können. Am Ende reichten dafür die Stimmen von 19 von 28 Mitgliedstaaten nicht, es fehlte unter anderem jene der Bundesregierung. Und das, obwohl einer Umfrage des Bundesamtes für Naturschutz zufolge 84 Prozent der Bürger hierzulande den Anbau gentechnisch veränderter Organismen ablehnen.

Mit der neuen Entscheidung bieten sich nun zwei Möglichkeiten, nationale Anbauverbote auszusprechen. Regierungen können etwa die Hersteller bitten, ein Land schon im Zulassungsantrag auszunehmen, müssen das aber nicht tun. Hier setzte sich das EU-Parlament in den Verhandlungen gegenüber den Plänen des Ministerrats durch, da es krumme Geschäfte im Vorfeld oder starken Lobbyeinfluss befürchtet hatte.

Die Regierungen dürfen in Zukunft vielmehr direkt Anbauverbote aussprechen - und dies auch nicht nur, wenn sie wie bisher neue Forschungserkenntnisse aus dem Hut zaubern können. Es reichen schon "sozio-ökonomische Gründe" oder ein Verweis auf die "öffentliche Ordnung" - eine etwas umständliche Umschreibung für den Widerstand in der Bevölkerung.

"Damit steht auch in Deutschland einer gentechnikfreien Landwirtschaft europarechtlich nichts mehr im Weg", sagte die SPD-Abgeordnete Susanne Melior nach der Abstimmung. Denn der Druck auf die Bundesregierung, entsprechend zu handeln, wird bereits aus dem Bundestag und den Bundesländern vorgetragen. Melior räumte jedoch ein, ihr wäre ein europaweites Anbauverbot "viel lieber gewesen". Denn nun drohe bei den Anbauregeln "ein Flickenteppich in Europa".

Damit sich gerade entlang grüner Grenzen keine naturbelassenen mit gentechnisch veränderten Pflanzen kreuzen, müssen alle Mitgliedstaaten Mindestabstände zu Gensorten definieren, wie es sie in Deutschland bereits gibt: 150 Meter zu einem Feld mit konventioneller Landwirtschaft, 300 Meter zu Ökolandbauflächen. Um eine Vermischung zu verhindern, darf nach einer Bepflanzung etwa mit Genmais im Folgejahr kein "normaler" Mais angepflanzt werden - nur zwischen Kartoffeln, Rüben oder anderen Pflanzen würde man nämlich sehen, wenn noch vorhandene Genmais-Samen aufgehen. Die belgische Abgeordnete der Liberalen, Frédérique Ries, ist die Verhandlungsführerin des Parlaments. Sie wertete diese Einschränkung ebenfalls als Erfolg. Doch selbst Gentechnik-Befürwortern ist klar, dass eine Vermengung in einem gemeinsamen Markt mit länderübergreifenden Transportwegen und Kundschaften nicht vollständig verhindert werden kann. Auch in Deutschland könnte es also dazu kommen, dass in Lebensmitteln Spuren gentechnisch veränderter Pflanzen auftauchen - zumal bei heute globalen Warenströmen kaum die gesamte Produktionskette von der Herstellung des Futtermittels bis zum fertigen Lebensmittel überwacht werden kann. Am Ende war in Straßburg aber ein EU-weites Verbot gentechnischer Pflanzen nicht durchsetzbar.

Der Grüne Martin Häusling bezeichnete das neue Gesetz daher als "Trojanisches Pferd", weil es seiner Ansicht nach zu mehr Zulassungen von Gentechnik führen wird. "Die Mitgliedstaaten werden zustimmen im Glauben, dass sie es ja daheim verbieten können, und der Druck auf die EU-Kommission wird nachlassen." Er forderte daher für die von der Kommission bereits angekündigte Reform des Zulassungsverfahrens eine Verschärfung "auf Basis unabhängiger Gutachten".

Das Bundesumweltministerium unter der Führung von Ministerin Barbara Hendricks (SPD) plant nun, Deutschland gentechnikfrei zu halten. Wichtig sei eine politische Vereinbarung, dass die sogenannte Ausschlussklausel generell in Deutschland gelte, betonte Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth gestern in Berlin. In Brüssel liegen unterdessen schon mehrere Anträge der Industrie zum kommerziellen Anbau weiterer Genpflanzen vor. Denkbar wäre auch, dass nun Hauptanbauländer gentechnisch veränderter Pflanzen wie die USA oder Kanada ein Verfahren bei der Welthandelsorganisation WTO gegen die EU einreichen. Ein solches Verfahren hatte es bereits 2003 gegeben, 2006 gab das WTO-Schiedsgericht in dem Fall den Klägern Recht.
Quelle: RP

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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