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Spiegel online/ Von Claus Hecking

Die EU-Mitgliedstaaten erleichtern nationale Anbauverbote für Genpflanzen. Gegner der Gentechnik fürchten dennoch, dass sich die Pflanzen über einzelne Länder ausbreiten. Sie nennen vier Risiken.

Luxemburg/Hamburg - Die Schlagzeile klingt nicht so, als würde sie Gentechnik-Gegner auf die Palme bringen: EU-Staaten kriegen mehr Spielraum für nationale Anbauverbote von Genpflanzen. So haben es die Umweltminister diesen Donnerstag mit überwältigender Mehrheit vereinbart; auch Deutschland hat dafür gestimmt.

 Und doch macht der Beschluss von Luxemburg den Genkritikern Sorge. Denn im Gegenzug erwarten gentechnikfreundliche Staaten und die Brüsseler Kommission die vereinfachte Zulassung von Genpflanzen auf EU-Ebene.

Die Minister bewerten den Beschluss als Erfolg. Er bringe mehr Rechtssicherheit und den einzelnen Staaten mehr Autonomie. "Jetzt erstmals ist es völlig eindeutig, dass wir auf gesicherter rechtlicher Grundlage gentechnisch veränderte Organismen nicht in Deutschland zulassen werden", sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD).

Äcker der EU bislang fast frei von Gentechnik

Bislang galt: Hatte sich die EU einmal für die Freigabe entschieden, so konnten einzelne Mitgliedstaaten die jeweilige Pflanze nur bannen, wenn sie dies mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen belegten. Künftig haben die nationalen Regierungen mehr Spielraum: Sie können für ihr Nein auch nicht-wissenschaftliche Argumente anführen. Ziele der Umwelt- und Agrarpolitik etwa, die Sorge um die öffentliche Ordnung oder das öffentliche Interesse.

Tatsächlich aber sind Europas Äcker derzeit nahezu gentechnikfrei - weil es kaum Zulassungen gibt. Denn bislang haben sich die kritischen und freundlichen Mitgliedstaaten im EU-Ministerrat sich immer wieder gegenseitig blockiert.

Ganze vier Pflanzen haben sie seit 1996 für den Anbau auf dem Acker erlaubt. Wirtschaftliche Bedeutung hat nur der Genmais MON810 des US-Konzerns Monsanto, der vor allem in Spanien sowie in geringeren Mengen in Portugal und Tschechien angebaut wird. Zwar könnte die EU-Kommission theoretisch Zulassungsverfahren einleiten und in einer Pattsituation Produkte freigeben, sie scheut aber die absehbare Konfrontation.

 Umweltschützer und Gentechnik-Kritiker warnen nun vor dem Dammbruch. Schließlich stehen gerade 13 Produkte in Brüssel zur Zulassung an - unter anderem für genmanipuliertes Soja von Monsanto. "Wenn die EU-Kommission nicht mehr mit dem Widerstand der gentechnikkritischen Staaten rechnet, wird sie bald eine Pflanze nach der anderen für den Anbau in der EU freigeben", fürchtet Heike Moldenhauer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Vor allem vier Risiken führen die Gentechnik-Gegner an:

Überschwemmung mit genmanipulierten Organismen: Fängt die EU einmal an, im größeren Stil Genpflanzen zu erlauben, steigt der Anreiz für die Konzerne, immer neue Produkte auf den Markt zu bringen. "Je alltäglicher diese Gentech-Produkte werden, umso schwieriger wird es für die gentechnikfreien Staaten, standhaft zu bleiben und Importe herauszuhalten", sagt BUND-Expertin Moldenhauer.
Rechtsunsicherheit: Hat die EU einmal die genmanipulierten Organismen zugelassen, muss jedes Land für sich ein nationales Anbauverbot beschließen - und sich mit den Herstellern einigen. Zweifeln die Konzerne dann die von der Regierung vorgebenen Gründe an, drohen langwierige Prozesse vor internationalen Schiedsgerichten mit unvorhersehbarem Ausgang, warnt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament.
Kontamination: Fangen Landwirte in einigen EU-Staaten mit dem Anbau genmanipulierter Pflanzen an, steigt das Risiko von Verunreinigungen - und zwar nicht nur im dortigen Bio-Landbau. Auch die Gefahr, dass genmanipulierte Organismen auch in die gentechnikfreien Staaten gelangen, nimmt zu: sei es über Pollenflug, sei es über den Güterhandel. Denn zwischen den Mitgliedstaaten des EU-Binnenmarktes gibt es kaum Warenkontrollen an den Grenzen. Zudem müssen Viehzüchter nicht gegenüber dem Verbraucher angeben, wenn sie ihre Tiere mit genmanipuliertem, billigerem Soja oder Mais gemästet haben.
Imageschaden für alle: Bislang hat die EU-Landwirtschaft den Ruf, nahezu gentechnikfrei zu sein - schließlich wachsen auf weniger als 0,1 % der Anbaufläche Genpflanzen. Dies würde sich mit der Zulassung in einigen Staaten aber ändern, prophezeit Häusling. Der Verbraucher werde den Überblick verlieren, welchen Produkten aus welchem Land er noch vertrauen könne.

Die Europaabgeordneten könnten den Beschluss der EU-Minister theoretisch noch verändern oder gar kippen. Dies gilt aber als höchst unwahrscheinlich. Das Parlament konstituiert sich nach den Europawahlen gerade neu; wie die künftige Mehrheitsposition aussehen wird, ist völlig unklar. Und die EU-Kommission hat Interesse, die unpopuläre Entscheidung über neue Genprodukte auf die Mitgliedsstaaten zu verlagern. Denn dann steht sie nicht mehr zwischen allen Fronten.

Mit Material von dpa
URL:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/gentechnik-eu-beschluesse-zu-verbot-von-genpflanzen-in-kritik-a-974824.html

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