FR - Politik zwischen Baum und Borke
Frankfurter Rundschau: https://www.fr.de/meinung/gastbeitraege/politik-zwischen-baum-und-borke-93388089.html#google_vignette
Der Zustand des Waldes erfordert einen Notfallplan zur Rettung des Sehnsuchtsortes. Ein Gastbeitrag von Martin Häusling, Landwirt und Grünen-Europaabgeordneter.
Nicht überall sieht der Wald so vital aus wie um den Kindelsbergturm. © obs
Es ist noch nicht lange her, dass mit der Vorstellung der aktuellen Bundeswaldinventur auch für das Klima alarmierende Fakten ans Tageslicht kamen. Vorbei sind die Zeiten, dass der deutsche Wald als Kohlenstoff-Senker diente und damit den Klimawandel hätte bremsen können – nun verkehrt sich seine Klimawirkung ins Gegenteil: Er wurde zur Kohlenstoff-Quelle.
In Deutschland sind 600 000 Hektar Wald abgestorben, das entspricht etwa zwei Dritteln der Fläche Hessens. Die Ursachen: extreme Hitze, anhaltende Trockenheit der letzten Jahre, Sturmschäden und eine massive Borkenkäferplage. Ungünstig wirkt auch die Art von Forstwirtschaft, die über Jahrzehnte unsere Laubwälder zugunsten der Fichte als beliebtestem Nutzholz abgeholzt und damit die Widerstandskraft der Wälder geschwächt hat.
So liefert uns die aktuelle Bundeswaldinventur im Grunde fast eine Art Konkursbericht zum deutschen Wald. Wer aber angesichts der dramatischen Situation einen Aufschrei der Waldbesitzenden und der Forstwirtschaft erwartet hatte, sah sich getäuscht.
Ganz im Gegenteil – der Waldbesitzerverband „bescheinigt der Forstwirtschaft in Deutschland ein positives Ergebnis“. Man sieht sich durch einen gestiegenen Laub- und Totholzanteil im Wald auf dem richtigen Weg. Dass dies vor allem der Tatsache geschuldet ist, dass die Fichten aus den Wäldern verschwunden sind, wird geflissentlich ignoriert.
Unangemessen stumm und geradezu schicksalsergeben bleibt angesichts dieser dramatischen Lage auch die Bevölkerung insgesamt. Keine Proteste, kein gesellschaftlicher Aufschrei der Deutschen zum Zustand ihres Sehnsuchtsorts: Wo bleibt die Forderung nach einem nationalem Notfallplan zur Rettung des Waldes?
Die Waldbesitzerverbände sind anderweitig beschäftigt. Sie bekämpfen vehement die notwendige Reform des 50 Jahre alten Waldgesetzes und wettern gegen die angeblichen „Bürokratiemonster“ aus Brüssel, wie zum Beispiel das Gesetz zu Entwaldungsfreien Lieferketten.
Doch für unsere Wälder brauchen wir keine Realitätsverweigerung und ein Festhalten an alten Lösungen, sondern dringender denn je eine Zusammenarbeit von Gesellschaft, Politik und Verbänden, um die notwendige Trendwende für einen gesunden Wald zu schaffen. Ein „Augen zu und weiter so“ ist keine Lösung. Sicher brauchen die Waldbesitzenden für einen konsequenten Aufbau von klimastabilen Mischwäldern mehr Hilfe. So könnte zum Beispiel der gängige Fehler vermieden werden, Nadelholz durch Nadelholz zu ersetzen, wenn etwa Douglasie statt Fichte nachgezogen wird.
Viele Waldbesitzende werden in den nächsten Jahren nicht vom Holzverkauf leben können. Es wäre daher sinnvoll, Umweltleistungen gezielt zu entlohnen wie den Schutz unserer Wasserreserven und die Wasserrückhaltung durch einen vernünftigen Waldumbau. Genauso sollten die Waldbesitzenden dafür entlohnt werden, wenn sie aus Gründen des Biodiversitätserhalts einen Teil ihres Waldes aus der Nutzung nehmen.
Außerdem müssen wir grundsätzlich mit der Ressource Holz schonender umgehen. Die Hälfte des nachwachsenden Holzes zu verbrennen, ja gar große Kraftwerke von fossilen Energien auf die Verfeuerung von Holz umzustellen und das obendrein noch europaweit zu subventionieren, mutet deshalb absurd an. Sinnvoller ist es, Holz als nachhaltigen Baustoff zu nutzen. So müssen wir zum Beispiel effizientere Konzepte zur Nutzung der Buche entwickeln.
Solange außerdem die Interessen von Jägerinnen und Jägern über dem Schutz des Waldes stehen, kann kein Waldumbau gelingen. Seit Jahren verhindert eine übermächtige Jagdlobby die dringende Reform des Jagdgesetzes auf Bund- und Landesebene. Die Trophäenjagd auf imposante Hirsche scheint dabei für viele die Hauptmotivation zu sein. Dies ist weder zeitgemäß noch angesichts der dramatischen Situation unserer Wälder haltbar.
Zwar versucht man hier und da, das Wild mit Zäunen aus dem Wald herauszuhalten, um den Bäumen das Aufwachsen ohne Verbiss zu ermöglichen. Doch es ist unangemessen und viel zu teuer, tausende Hektar Wald mit zwei Meter hohen Zäunen zu schützen. Ein zu hoher Wildbestand wird den heutigen Erfordernissen nicht gerecht und bedient nur die rückwärtsgewandte Haltung Einzelner, die sich ein Geweih an die Wand hängen wollen. Aus waldökologischer und wirtschaftlicher Sicht gibt es dafür kein Pardon: Der Wildbestand ist zu hoch und muss runter.
Ein neues Bundeswaldgesetz liegt in der Schublade, wir brauchen es. Mit verlässlichen Vorgaben, um Leitplanken für mehr Klima- und Naturschutz im Wald zu bekommen und Planungssicherheit für den notwendigen Waldumbau zu schaffen.
Martin Häusling ist hessischer Bioland-Bauer und seit 2009 Abgeordneter für die Grünen im Europäischen Parlament. Dort ist er Mitglied im Agrar- sowie im Umweltausschuss.