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Petition von Tierärzten gegen EU-Reform: Fake News gegen Antibiotika-Regeln

TAZ 02.09.2021

EU-Abgeordnete wollen, dass die für Menschen wichtigsten Antibiotika nur noch wenige Tiere bekommen. Veterinäre sammeln Unterschriften für eine Petition.

Untersagt wäre es künftig, tausenden Hühnern Antibiotika zu geben, wenn nur wenige erkrankt sind Foto: imago

BERLIN taz | Muss dieser süße Hund sterben, falls EU-Parlamentarier schärfere Regeln für den Einsatz von Antibiotika bei Tieren durchsetzen? Aus großen Augen schaut er den Betrachter auf dem Aufruf zu einer Petition des Bundesverbands praktizierender Tierärzte an. Darüber steht: „Mein Leben ist in Gefahr!“, darunter: „Bitte unterschreiben, damit auch in Zukunft alles für meine Gesundheit getan werden kann!“

Alle zugelassenen Antibiotika sollten auch künftig allen Tieren gegeben werden dürfen. Das, so die Petition, wäre aber nicht erlaubt, wenn der Umweltausschuss des EU-Parlaments sich durchsetzt. Auch Ausnahmen für einzelne Tiere – im Gegensatz zu der Behandlung ganzer Herden – wären dann nicht möglich.

Aber: Anders als die Veterinäre behaupten, bedrohen die Pläne der Abgeordneten keinesfalls das Leben von Heimtieren wie Hunden oder Katzen. Die von den Tierärzten kritisierte Entscheidung des Umweltausschusses verlangt zwar, dass Antibiotika aus der laut Weltgesundheitsorganisation wichtigsten Gruppe („Reserveantibiotika“) grundsätzlich nur noch Menschen gegeben werden. Das soll verhindern, dass die Medikamente unwirksam werden, weil Bakterien durch zu häufigen Gebrauch der Präparate resistent werden.

Allerdings fordern die Parlamentarier auch „Ausnahmeregelungen für die individuelle Behandlung“ von Tieren mit einer lebensbedrohlichen Krankheit, also zum Beispiel von Hunden. Untersagt wäre hingegen, wie bisher üblich, beispielsweise Tausenden Hühnern Reserveantibiotika ins Futter oder Wasser zu mischen, auch wenn nur einzelne Tiere erkrankt sind.
Bakterien werden unempfindlich gegen Medikamente

Denn der Einsatz von Antibiotika bei Tieren trägt Behörden zufolge dazu bei, dass krankmachende Bakterien unempfindlich gegen die Medikamente werden. Beispielsweise über Lebensmittel können die Erreger auf Menschen übertragen werden. In Deutschland sterben laut einer von der EU finanzierten Studie jährlich etwa 2.400 Personen, weil sie sich mit einem resistenten Keim infiziert haben.

Deshalb hat die EU 2019 beschlossen, dass Reserveantibiotika Menschen vorbehalten sein sollen. Welche Antibiotika das sind, muss aber noch entschieden werden. Die EU-Kommission schlug in einem Erlass Kriterien für die Auswahl vor. „Doch dieser enthält erhebliche Schlupflöcher, die es ermöglichen würden, Reserveantibiotika eben doch in der Tiermast anzuwenden“, sagt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament.

Der Hesse hat deswegen in seiner Funktion als Verhandlungsführer der Abgeordneten für das Thema Einspruch dagegen eingelegt. Der Umweltausschuss hat das bestätigt, Mitte September soll das Plenum abstimmen und könnte den Erlass damit stoppen.

Häusling kritisiert, dass die Kommission nicht einfach die Reserveantibiotika-Liste der WHO übernehmen will. Stattdessen schlägt Brüssel eigene Kriterien vor, die erfüllt werden müssen, um einen Stoff in der Tiermedizin zu verbieten: Unstrittig ist, dass er wichtig für die Humanmedizin sein muss. Grundsätzlich für Häusling okay ist auch, dass es ein Risiko einer Übertragung von Resistenzen von Tieren auf Menschen geben muss.
Häusling wirft den Tierärzten ein falsches Spiel vor

Der Grüne akzeptiert aber nicht, dass das Antibiotikum eine nur „nicht-essentielle“ Bedeutung für die Tiergesundheit haben muss. „Ob ein Wirkstoff als Reserveantibiotikum eingestuft wird – eben weil man dessen Wirksamkeit für die Behandlung von Menschen erhalten will –, darf nicht davon abhängig gemacht werden, welche Rolle dieser Wirkstoff in der Tiermedizin spielt“, argumentiert Häusling.

Dieser Forderung haben sich die Bundesärztekammer, die Deutsche Umwelthilfe, die Tierrechtsorganisation Peta und der Tierschutzverband Pro Vieh angeschlossen. Der Deutsche Tierschutzbund dagegen unterstützt die Veterinäre, die alle Tierarztpraxen aufgerufen haben, Unterschriften für ihre Antibiotika-Petition zu sammeln.

„Der Tierärzteverband setzt einfach Falschbehauptungen in die Welt“, wehrt sich Häusling. Der Umweltausschuss habe von der Kommission klar einen Vorschlag gefordert, die Tierarzneimittelverordnung so zu ändern, dass „weiterhin eine Einzeltierbehandlung auch mit Reserveantibiotika“ möglich ist. Die Organisation teilte der taz daraufhin mit, so eine Änderung der Verordnung sei „auch jetzt politisch nicht gewollt/mehrheitsfähig“. Allerdings hat ja die Mehrheit im Umweltausschuss für genau diese Lösung gestimmt.

Häusling wirft den Tierärzten ein falsches Spiel vor. „Fiffi hält man ins Bild, man deckt aber im Grunde genommen die andere Form der Tierhaltung, die man kritisch hinterfragen müsste. Das tun sie aber nicht. Die wollen nichts ändern“, sagte der Grüne der taz. Tatsächlich werden für einzelne Heimtiere weit weniger Antibiotika verbraucht als für Nutztiere wie Schweine, Geflügel und Rinder, die in der Regel in größeren Gruppen gehalten werden: Laut der EU-Arzneimittelagentur werden im Schnitt 88 Prozent der Antibiotikamengen für Tiere in 31 europäischen Ländern in Formen wie Pulver verkauft, die für die Behandlung von Gruppen bestimmt sind. Nur 12 Prozent sind für Einzeltiere gedacht und werden zum Beispiel durch Spritzen verabreicht.
Gesündere Haltung statt Medikamente

Die gängige, konventionelle Landwirtschaft könnte den Grünen zufolge mit weniger Antibiotika auskommen, wenn sie die Tiere besser halten würde. „Antibiotika werden zum Beispiel eingesetzt, weil man die Ferkel nach 3 Wochen von der Muttersau absetzt und sie dann oft Durchfall bekommen“, sagt Häusling. „Werden Ferkel später entwöhnt, ist ihr Verdauungssystem stärker und die Wahrscheinlichkeit von Durchfall ist geringer.“ Bio-Landwirte kämen mit deutlich weniger Antibiotika aus, so der Abgeordnete, der selbst lange einen Biohof geführt hat. Der Anbauverband Demeter habe den Einsatz von Reserveantibiotika gänzlich verboten.

Die Umwelthilfe wirft den Veterinären vor, zu verschweigen, dass „einige Tierarztpraxen finanziell massiv profitieren vom Verkauf und von Rabatten, die bei großen Antibiotikamengen, etwa für Megaställe, gewährt werden“. Manche würden 78 Prozent ihres Umsatzes generieren, indem sie Arzneimittel verkaufen.

Fraglich ist, ob sich Häusling im Plenum des Parlaments durchsetzen kann. Denn bisher hat sich die große Fraktion der Europäischen Volkspartei, zu der auch die CDU-Abgeordneten gehören, enthalten. Da die Agrarlobby bei den Konservativen stark vertreten ist, könnte sie ihre Haltung auch wegen des Drucks der Tierärzte noch ändern.

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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