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2019 10 11 Agrarzeitung Portrait mhQuelle: PDF-Ausgabe #41/2019 auf www.agrarzeitung.de

Autorin: Henrike Schirmacher in AgrarZeitung vom 11. Okt 2019

 

Mit Haltung im Haifischbecken

Martin Häusling kämpft für eine weiterhin strenge Regulierung neuer Züchtungstechnik

 

Zweifel an seiner Parteizugehörigkeit lässt Martin Häusling definitiv nicht aufkommen: Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament und Mitglied im Umweltausschuss kämpft auf ganzer Linie für traditionell grüne Themen. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei der gentechnikfreien Landwirtschaft, dem Artenschutz und dem Verbot von Glyphosat.

Seit der Parteigründung im Jahr 1980 ist der 58Jährige Mitglied.Mittlerweile ist er zwar felsenfest in der Partei verankert, zur Gründungszeit war das aber anders.

„Damals kam da ein recht bunter Haufen zusammen. Einige, so wie ich, kamen aus der AntiAtomkraftBewegung, andere eher aus der ökopazifistischen Richtung“, erzählt Häusling. Ein Zusammenschluss, der zuweilen als anstrengend empfunden werden könne. Seither habe sich die Partei allerdings „sehr weiterentwickelt und das programmatische Spektrum entsprechend erweitert“, ist Häusling überzeugt.

Ist die Gen-Schere die Zukunft oder eine Zeitbombe?

Heute lässt sich der Eindruck gewinnen, dass der erfahrene P olitiker innerhalb seiner P artei noch viel vorhat . Obwohl seine Bühne als Europaparlamentarier eigentlich Brüssel ist, wird der gelernte Agrartechniker und Vater zweier Kinder nicht müde, in Deutschland Präsenz zu zeigen.

Im Sommer präsentierte er die Ergebnisse einer Studie mit dem plakativen Namen „Zukunft oder Zeitbombe? Designerpflanzen als Allheilmittel sind nicht die Lösung!“ in Berlin. Kernbotschaft: Neue Züchtungstechnik, darunter fällt beispielsweise die GenSchere CRISPR/Cas, müsse, analog zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, auch in Zukunft wie bisherige gentechnische Verfahren streng reguliert werden.

"Der DBV vertritt nicht diejenigen, die er vertreten sollte, nämlich die Bauern."

In kompromissloser Konsequenz stemmt sich Häusling damit den Befürwortern der neuen gentechnischen Züchtungsverfahren entgegen, die auf europarechtlicher Ebene die Anwendung der Technik erleichtern wollen. Der Verfechter des Ökolandbaus unterstellt diesen, aufgrund wirtschaftlicher Interessen das europäische Vorsorgeprinzip untergraben zu wollen. Schützend stellt er sich vor die ÖkoBranche, die gänzlich auf diese Verfahren verzichten will. Das betrifft auch die eigene Familie: Häusling bewirtschaftet den Kellerwaldhof in der nordhessischen Gemeinde Bad Zwesten seit 1988 nach BiolandRichtlinien. Über ihn hätten vor 30 Jahren – damals schon praktizierender ÖkoBauer – noch viele den Kopf geschüttelt. „Für mich war von Anfang an klar, dass das MitderNaturwirtschaften – statt gegen sie – das einzig Richtige ist .“ Im Gespräch wirkt er offen und bodenständig und bekennt, dass ihn besonders die Position des Deutschen Bauernverbands immer wieder schaffe, in Rage zu bringen, weil dieser „nicht diejenigen vertritt, die er sollte, nämlich die Bauern“. Gute Beziehungen in die konventionelle Landwirtschaft hinein pflege er trotzdem.

Der Mann fordert die Agrarbranche heraus

Als kritischer Zeitgenosse, der sich unermüdlich für das Vorsorgeprinzip, also Kontrolle und Risikobewertung der gentechnischen Verfahren, starkmacht, mag er einige Wissenschaftler, Züchter und große Teile der Agrarbranche schier zur Verzweiflung bringen. Für die Befürworter der neuen Züchtungsverfahren sind deren Produkte vergleichbar mit solchen, die durch konventionelle züchterische Methoden entstanden sind. Häusling selbst ist allerdings überzeugt, dass seine Einstellung zeitgemäß ist: „Es gibt bereits alte Sorten, die genau das können, was mit Aufwand und Risiko mit CRISPR und Co versucht wird. Man sollte lieber mit alten existierenden Sorten forschen.“ Auf dem Brüsseler Parkett will sich Häusling weiterhin vehement gegen eine mögliche „Verwässerung des Gentechnikrechts einsetzen“ – also gegen das neue Regelwerk, das die Anwendung der neuen Verfahren erleichtern würde.

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

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