Grüne Europagruppe Grüne EFA

Autor: Michael Magercord –für EuroJournalist vom 1.11.2018 / Quelle:http://eurojournalist.eu/neue-heimat-dorf-4-0/

 

Unmittelbar nach der Schlacht sind Sieger müde. Nicht anders erging es Martin Häusling aus Hessen. Der agrarpolitischer Sprecher der grünen Fraktion im EU-Parlament feierte den Wahlerfolg seiner Partei in Kassel. Die Grünen hatten in der Nordhessen-Metropole ein Direktmandat gewonnen. Überhaupt lagen sie in allen Großstädten vorn. Doch so erfreulich auch so manche Wählerdaten aus dem Hinterland sind, so bleibt gerade bei den Grünen der alte Gegensatz zwischen Stadt und Land besonders stark.

Tags drauf stellte Martin Häusling bei einer Veranstaltung seiner Partei im benachbarten Südniedersachen fest: „Die Grünen erscheinen den Bauern immer noch als der natürliche Feind“. Nun ist er selbst zwar Landwirt – und klar: ein Biobauer –, aber die Biobauern sind ja keine Seltenheit mehr, allein weil sich der Bioanbau für viele Betriebe bestens rechnet. An der Trennlinie konventionell-bio spielt sich der Konflikt zwischen Grünen und Landvolk schon lange nicht mehr ab, spätestens seit die großen Handelsketten Aldi und Lidl die größten Bioläden der Republik geworden sind. Der Biobauer ist schon lange nicht mehr zwangsläufig auch politisch grün.

Die wirkliche Front verläuft zwischen Stadt und Land. Und es lässt sich nicht leugnen: vieles, was den Metropolen nutzt, schadet dem Land. Ein Beispiel liefert Hessen: Frankfurt will auf Teufel komm raus Millionenstadt werden, ein Ziel, dass auch grüne Politiker betonen. Einmal wird dafür der Stadtraum immer weiter verdichtet und die letzten Grünflächen zugebaut – ein Trend, der auch in Frankreich verfolgt wird, wie wir in Straßburg ja tagtäglich leidvoll erfahren dürfen –, zum anderen dehnen sich die suburbanen Schlafsiedlungen immer weiter ins Umland aus. So werden etwa in der Wetterau beste Ackerböden zu Bauland, das vorwiegend von weltweit agierenden Investoren verbaut wird.

Es scheint ja schon fast absurd zu sein, denn gleichzeitig steht in den Dörfern Wohnraum leer und verfällt. Ganze Gehöfte sind für symbolische Summen zu haben. Und trotzdem lebt dort nur noch, wer es sich leisten kann. Leisten kann sich das Landleben nur jemand, der seinen Lebensunterhalt dort nicht mehr erwirtschaften muss. Transferleistungsempfänger, also Rentner und Arbeitslose bleiben zurück – und die Landwirte. Auch sie leben zumindest teils von den Direktsubventionen, die ihnen aus Brüssel für jeden Hektar Land als quasi leistungsloses Einkommen aus Steuermitteln überwiesen werden.

Diese Zahlungen mögen ihren ernährungspolitischen Sinn einst gehabt haben, den Verfall der Dörfer halten die Milliarden aus der EU-Schatulle nicht auf, im Gegenteil, sie führen zur weiteren Konzentration von Ländereien in immer weniger Händen, zumal, wenn die Niedrigzinspolitik der EZB viel billiges Geld in diese Hände gibt. Großinvestoren nämlich greifen mittlerweile gerne zu, wenn mal wieder ein Kleinbauer aufgegeben hat. Das hat schließlich politische, ja demokratische Konsequenzen: selbst jene, die zwar vom Staat mehr oder weniger leidlich versorgt werden, fühlen sich trotzdem vernachlässigt und wählen entsprechend populistisch. Und das, obwohl wirkliche Armut eher in den Städten anzutreffen ist.

Was tun? Neben der Neuregelung der Maßstäbe der EU-Fördermaßnahmen weg von der Bodengröße hin zur tatsächlichen Tätigkeit darauf plädiert Martin Häusling für die „In-Wert-Setzung“ von Regionen. Man könnte es auch als eine substantielle Form des lokalen Marketings bezeichnen. Die Stärken und Produkte einer Region werden gezielt beworben und entwickelt. Beispiele gibt es bereits, so im südtiroler Örtchen Mals, das sich per Volksentscheid zur pestizidfreien Zone erklärte und so nun viele Besucher anzieht. Allerdings kann nicht jede Region damit rechnen, Touristenmagnet zu werden Es muss daneben auch weniger spektakuläre Maßnahmen geben, von der digitalen Infrastruktur bis zur gezielten Ansiedlung von Migranten. Vor allem die Obst- und Gemüsebauern spürten, dass ihnen so langsam die Arbeitskräfte ausbleiben, seit es etwa in Rumänien aufwärts geht. Für die Erleichterung der Aufnahme von Arbeit für Flüchtlinge in der Landwirtschaft können sich mittlerweile auch viele Landwirte erwärmen, die beileibe nicht Grün angehaucht sind.

Vielleicht aber ebnet eine weitere Überlegung den Weg zur einer simplen Erkenntnis. Es besteht nämlich durchaus ein Zusammenhang der Leiden in Stadt und Land: Denn die niedrigen Lebensmittelpreise sind die mittelbare Ursache für die hohen Mieten in den Städten. Der Lohnanteil, der durch die geringen Kosten für die Ernährung nun eigentlich für nicht-essentielle Bedürfnisse freistünde, wird in der heutigen finanzpolitischen Situation von dem essentiellen Bedürfnis Wohnen aufgesogen. Die Mieten und Immobilienpreise gestalten sich unabhängig von den tatsächlichen Baukosten, die ja überall ziemlich gleich sind. Einzig die Finanzkraft der jeweiligen Region ist ausschlaggebend für die Unterscheide in den Preisen von Grundstücken und Immobilien. Würden Lebensmittel teurer, könnten vor allem kleinere Landwirte wieder ohne hohe Subventionen wirtschaften und gleichzeitig wäre weniger Geld übrig für Mieten, und damit verliert dieser Markt für Finanzinvestoren an Anziehungskraft.

Man sitzt also im selben Beiboot in Stadt und Land, das sich im Schlepptau des Finanzkapitals befindet. Zugegeben, das war jetzt fast eine marxistische Diktion und deshalb weder der Ton, den die Grünen heutzutage anschlagen würden, noch den Bauern in den Sinn käme. Und auch nicht den aufs Landleben spezialisierten Zukunftsforschern. Die träumen stattdessen schon vom Dorf 4.0: Nicht mehr der Straßenbau ist die Infrastruktur Nummer Eins zur Anbindung an die große Welt, sondern die Datenautobahn. Die Digitalisierung sorgt für die Umkehrung der Austausches zwischen Stadt und Land: sie versetzt Bürojobs aufs Land, autonome und smarte Verkehrsmittel sorgen für die Mobilität, und der Arzt hält rund um die Uhr Sprechstunde in der Online-Praxis. Diese Wiederbelebung des Lokalen durch High-Tech hat auch schon einen Namen: „Glokalisierung“.

Möge sie schnell umsichgreifen, denn wenn alles so weitergeht wie bisher, wird der Gegensatz zwischen Stadt und Land die Demokratie schädigen. In ganz Europa hat sich diese Spaltung verfestigt, Wahlergebnisse in Frankreich, wo auf dem Land überwiegend Le Pen gewählt wurde, oder bei der Brexit-Abstimmung mögen nur die Spitze des Eisberges sein. Denn auch in Deutschland wählt man auf dem Lande zunehmend rechtspopulistisch – solange wohl, bis der Arzt kommt.

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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