Grüne Europagruppe Grüne EFA

Der Einzelhandel will die neuen Regeln gegen unlautere Einzelhandelspraktiken mit allen Mitteln verhindern und findet ausgerechnet in der Grünen-Partei Unterstützung.

Autor: Hendrik Kafsack / Frankfurt Allgemeine Zeitung / 22. Okt 2018

BRÜSSEL, 21. Oktober. Die Intention war klar, als EU-Agrarkommissar Phil Hogan im Frühjahr seinen Vorschlag gegen unlautere Geschäftspraktiken im Lebensmittelhandel vorlegte. "Wir wollen damit das schwächste Glied in der Lieferkette und damit letztlich die gesamte Lieferkette stärken", sagte der Ire und meinte die Landwirte. Ein halbes Jahr später hat der Agrarausschuss des EU-Parlaments die Position zu dem Vorstoß beschlossen und den Schutz von Bauern ausgeweitet: auf landwirtschaftliche Genossenschaften mit Milliardenumsatz wie die schwedisch-dänische Molkereigenossenschaft Arla. Selbst Konzerne wie Nestlé oder das aus Kraft hervorgegangene Mondelez sollen vor den Einkäufern des Einzelhandels geschützt werden. "Es ist grotesk", sagte der Biobauer und Abgeordnete Martin Häusling (Grüne). "Wir wollten Landwirte schützen, jetzt schützen wir Konzerne."

Es hat sich eine ungewöhnliche Koalition gegen den Beschluss gebildet: Neben dem Grünen Häusling läuft der Handelsverband Deutschland (HDE) Sturm dagegen. Mit der Warnung "Die EU will Edeka und Rewe zerschlagen" versucht die Spitzenorganisation des deutschen Einzelhandels, den Vorschlag zu verhindern. Tatsächlich ist der Agrarausschuss weit über das ursprüngliche Ziel hinausgeschossen. Hogan wollte kleine Agrarbetriebe schützen. Sie sollten sich besser gegen eine Handvoll besonders gravierender Praktiken des Einzelhandels wehren können. Dazu gehören etwa die späte Bezahlung verderblicher Ware, die kurzfristige Stornierung oder die einseitige nachträgliche Änderung einer Bestellung durch den Abnehmer. Der Agrarausschuss hat die Beschränkung des Schutzes auf kleine Betriebe aufgehoben und die Liste der unlauteren Praktiken von acht auf 49 erhöht. Dazu gehört nun auch ein Verbot sogenannter Einkaufsgenossenschaften, wie sie die unter dem Dach von Edeka und Rewe organisierten selbständigen Kaufleute bilden. Sie müssten künftig jeder einzeln mit den Herstellern verhandeln. "Ein Generalangriff auf den mittelständischen Lebensmittelhandel", schimpfte der Präsident des HDE, Josef Sanktjohanser.

Eingebracht hat den Änderungsantrag, auf dem das Verbot beruht, der CSU-Abgeordnete Albert Deß. Der spricht von einer "bösartigen" Kampagne. Es sei nie Ziel gewesen, Edeka und Rewe zu treffen. Der Änderungsantrag sei nur missverständlich formuliert. Das wisse der HDE genau. Eine Klarstellung ist formuliert. Die beschränkt das Verbot auf supranationale Kooperationen wie Agecore, wo unter anderem Edeka, Colruyt (Belgien), Intermarché (Frankreich) und Conad (Italien) ihre Kräfte bündeln. Profitieren würden von dem Verbot Konzerne wie Nestlé. Dessen Produkte hatte Agecore zu Jahresanfang im Streit um die Konditionen aus den Regalen geräumt.

"Wir sind, verglichen mit Nestlé, die Kleinen mit einem Anteil von gerade einmal 1,3 Prozent an deren Umsatz", hieß es beim HDE. Deß macht keinen Hehl daraus, dass er das lachhaft findet. Sieben der reichsten Deutschen seien Inhaber von Einzelhandelsketten, sagt der Landwirt. "Die sind diejenigen, welche die Zulieferer erpressen, und zwar nicht nur die kleinen Bauern, sondern auch Genossenschaften mit einem Umsatz von 10 Milliarden." Die Sorge um Molkereigenossenschaften wiederum findet Häusling aberwitzig, "auch wenn ich mit Edeka nun auch kein Mitleid habe". Arla oder Müllermilch seien nicht besser, sie erpressten die kleinen Landwirte, sagt er. Er wirft Deß vor, in eigener Sache tätig zu sein.

Der ist Vorstand der großen bayerischen Molkereigenossenschaft Bayernland und hat insofern Interesse daran, die Einkäufer von Rewe und Edeka zu schwächen. Noch etwas ärgert den Grünen: Deß will dem Einzelhandel verbieten, eigene Qualitäts-, Tierschutz- oder Ökostandards von den Zulieferern zu verlangen, die über gesetzlich vorgeschriebene hinausgehen.

In dieser Woche muss nun das EU-Parlament entscheiden, ob es den Beschluss des Agrarausschusses noch aufhält. 76 Abgeordneten müssten sich dazu bis Dienstag um Mitternacht für ein Plenarvotum aussprechen. Das Plenum würde dann am Donnerstag abstimmen. Häusling ist zuversichtlich, dass das Paket noch einmal aufgemacht wird. Auch Deß rechnet damit. Die Entscheidung fällt am Ende erst im Trilog, den Verhandlungen zwischen Parlament, der EU-Kommission und Ministerrat, der Vertretung der EU-Staaten. Der Ministerrat ist in seiner Stellungnahme nahe an Hogans ursprünglichem Vorschlag geblieben. Dort gibt es wenig Sympathie für die Ausweitung der Verbotsliste und des Schutzes kleiner Agrarbetriebe auf Molkereien und Konzerne. Erst wenn sich die beteiligten Institutionen auf eine Linie einigen, können die Regeln in Kraft treten. Die österreichische Ratspräsidentschaft will die Verhandlungen bis zum Jahresende abschließen. Danach wird die Zeit bis zu den Europawahlen knapp. Gibt es bis dahin keine Einigung, ist die Reform wohl gescheitert. Das dürfte dann weder Deß noch Häusling freuen, den HDE aber durchaus. Der war auch gegen Hogans Vorschlag - Rewe hin, Edeka her.

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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