„Vision für Landwirtschaft und Ernährung“ von Agrarkommissar Hansen: Fataler Kurswechsel in der EU-Agrar- und Ernährungspolitik
Die heute von Agrarkommissar Hansen vorgestellte „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“ offenbart einen besorgniserregenden Paradigmenwechsel: Die Farm-to-Fork-Strategie - und damit der von vielen Wissenschaftlern seit langem geforderte erste Politikentwurf für die gesamte Ernährungswertschöpfungskette - wird faktisch beerdigt. Der Green Deal als Basisvision für Nachhaltigkeit findet keine Erwähnung. Statt nachhaltigem Umgang mit Ressourcen stehen Ertragsmaximierung und globale Wettbewerbsfähigkeit im Fokus – entgegen allen Empfehlungen seitens wissenschaftlicher und Institutioneller Beratungsgremien der EU. Martin Häusling, Mitglied im Agrar- sowie im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments, kommentiert:
„Visionär ist am heute vorgestellten Zukunftsprogramm von Agrarkommissar Hansen nur wenig. Es ist ein Rückfall in den Glauben, Wirtschafts- und Wettbewerbsförderung seien die Lösung unserer Probleme und man müsse auf die Umwelt, in der wir leben, keine Rücksicht nehmen. In ihrer eigenen Kommunikation „Drivers of food security“ von 2023 schrieb die Kommission noch, dass zu den drängendsten Problemen der europäischen Landwirtschaft der Klimawandel und das großflächige Artensterben gehören. Im Gegensatz dazu sind in dieser sogenannten „Vision“ Umwelt- und Ressourcenschutz nur Randnotizen. Der Text liest sich so, als gäbe es die Herausforderungen Klimawandel und Artensterben gar nicht. Das wird der aktuellen Situation nicht gerecht und ist rückwärtsgewandt. Nicht einmal die im Konsens erarbeiteten Ergebnisse des Strategischen Dialogs für Landwirtschaft finden ausreichend Beachtung. “
Eine Kurzanalyse
Wenig Ambition bei Umwelt- und Klimaschutz
Die geplanten Maßnahmen zur Reduktion von Pestiziden bleiben vage, ein konkretes Reduktionsziel fehlt. Tierschutzstandards werden zwar in Aussicht gestellt, jedoch ohne klare Maßnahmen zur Durchsetzung. Auch im Bereich Bodenschutz wird statt ambitionierter Schritte lediglich auf Beratung gesetzt. Der Klimawandel wird in der Strategie kaum thematisiert – fatalerweise einzig in Verbindung mit der vermeintlichen Notwendigkeit neuer Gentechnikverfahren (NGTs). Auch dass die Wasserqualität verbessert werden soll, bleibt ohne Verbindlichkeit bloße Rhetorik.
Freiwilligkeit statt Verbindlichkeit: Nachhaltigkeit bleibt auf der Strecke
Ein lediglich freiwilliges Benchmark-System soll Umweltstandards für das betriebliche Management ersetzen, damit schlägt man 3 GAP-Generationen Ökologisierung in den Wind.
Fokus auf Exporte statt Stärkung regionaler Ernährungssicherheit
Statt regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken, setzt die Strategie weiterhin auf den globalen Handel von Agrarprodukten. Auch wenn Importstandards angeglichen werden sollen, fehlt ein klares Bekenntnis zur Förderung einer nachhaltigen und regionalen Landwirtschaft.
Techno-Fixes als Scheinlösung
Anstatt eine agrarökologische Wende und den Ökolandbau zu fördern, setzt die Strategie auf Techno-Fixes wie Precision Farming, innovative Pestizide, Gentechnik und Risikoversicherungen. Bisher existieren kaum wissenschaftliche Belege dafür, dass diese Technologien eine Trendwende in Sachen landwirtschaftlicher Nachhaltigkeit befördern können – im Gegensatz zu agrarökologischen Systemen.
Bürokratieabbau als Vorwand für Deregulierung
Die angekündigte weitreichende Vereinfachung des Rechtsrahmens wäre zu begrüßen, wenn es wirklich im Verwaltungsvereinfachung ginge. Doch sieht man auf den ersten Blick, dass, wie schon in den letzten Monaten geschehen, weiter Umweltstandards und ökologische Errungenschaften der letzten 20 Jahre aufgeweicht werden. Bürokratieabbau ist dringend notwendig, aber weniger Auflagen dürfen nicht auf Kosten der Natur gehen – sie ist die Grundlage der Landwirtschaft!
Agrarpolitik als nationales „Wünsch Dir was“
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) soll weiter flexibilisiert und nationalisiert werden. Das stellt den gemeinsamen Binnenmarkt in Frage und setzt Betriebe unter unfairen Wettbewerbsdruck, je nachdem, in welchem Land sie wirtschaften.
Viele leere Versprechungen für den ländlichen Raum
Zwar wird viel von der Förderung ländlicher Räume gesprochen, doch das erschöpft sich in Digitalisierungsförderung. Konkrete Maßnahmen zur Stärkung kleiner und mittlerer Betriebe oder der handwerklichen Lebensmittelverarbeitung fehlen weitgehend.
Positive Aspekte
Die Stärkung der Landwirte in der Lebensmittelkette und der Kampf gegen unfaire Handelspraktiken sind wichtige Punkte in Hansens Programm. Auch die Angleichung der Produktstandards für importierte Waren, insbesondere bei Pestiziden und Tierschutz, ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Fairness im globalen Handel. Das Verbot, in der EU untersagte Pestizide erneut in Verkehr zu bringen, ist eine Maßnahme, die unsere Unterstützung findet. Ebenso begrüßen wir die verschärften Einfuhrkontrollen sowie die wenigen, aber dennoch positiven Ansätze im Bereich Tierschutz. Diese müssen jedoch konkretisiert und mit echten Maßnahmen zur Reduzierung der Tierzahlen bei gleichzeitig verbesserten Haltungsbedingungen verknüpft werden. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass diese positiven Ansätze nicht verwässert, sondern ambitioniert umgesetzt werden.
Wir fordern eine klare Kurskorrektur: Der gesamtpolitische Ansatz einer kongruenten Ernährungspolitik, wie in der Farm-to-Fork Strategie, muss erhalten bleiben. Nachhaltigkeit und Klimaschutz dürfen nicht dem kurzfristigen wirtschaftlichen Gewinn geopfert werden. Die EU muss an ihrer Verantwortung festhalten und ihre Agrar- und Ernährungspolitik auf eine sozial- und umweltverträgliche sowie gesunde Zukunft ausrichten.