Neue Studie: EU-Saatgutreform – Diesmal: Saatgut für Agrarökologie und Farm-to-Fork!
Zugelassene Sorten für unsere Lebensmittelproduktion unterscheiden sich heutzutage häufig nur noch in geringfügigen Ausprägungen und sind einseitig auf Leistung gezüchtet. Das ist fatal, denn Sortenvielfalt ist notwendig, wenn wir unsere Agrarsysteme zukunftssicher aufstellen wollen.
In der EU gibt es 27 verschiedene Saatgutvermarktungsregelungen, die sich zum Teil erheblich unterscheiden. Der letzte EU-Vorschlag für eine Saatgutreform 2013 war allerdings völlig unzureichend, um die Saatgutvielfalt auf unseren Äckern und in unseren Gärten zu stärken. Der Vorschlag hätte den Erhalt und die Nutzung der Artenvielfalt in der Landwirtschaft und im Gartenbau nicht befördert, sondern weiterhin uniformem, auf Ertrag gezüchtetem Einheitssaatgut den Vorrang am Markt gegeben. Die Zucht und Vermarktung angepasster robuster Sorten ist aktuell nur unter den Regeln des Öko-Rechtes möglich.
Die EU-Kommission plant ihren Vorschlag zur Novellierung des bestehenden Saatgutrechts am 6. Juni 2023 vorzulegen.
Greens/EFA fordern die Kommission auf, eine grundlegende Reform vorzulegen, die ein neues Gleichgewicht zwischen der industriellen Pflanzenproduktion und lokalen und weniger inputabhängigen Produktionssystemen wie der agrarökologischen und ökologischen Produktion herstellt.
Die Studie „Welches Saatgut für einen gerechten Übergang zu agrarökologischen und nachhaltigen Lebensmittelsystemen?“ (english version) von Arche Noah, Verein für den Erhalt, die Verbreitung und die Entwicklung vom Aussterben bedrohter Kulturpflanzensorten, im Auftrag der beiden Grünen Europaabgeordneten Sarah Wiener und Martin Häusling, beleuchtet die Saatgutzulassung in der EU und ihre Probleme und geht der Frage nach zukunftsfähigen Strategien nach.
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Umwelt- und Gesundheitsausschuss, kommentiert:
„Die Europäische Union ringt seit mehr als einem Jahrzehnt um ein neues Saatgutrecht. Eine Novelle ist bitter notwendig, denn die derzeitige Gesetzgebung fördert nicht nur eine uniforme Saatgutproduktion großer Konzerne, sondern gefährdet sogar die Artenvielfalt. Die Welternährung basiert heute zu ca. 66 % auf nur neun Kulturpflanzenarten. Der größte Teil der Kulturpflanzen (99,6%) bleibt dagegen fristen ein Schattendasein. Laut Schätzungen der UN haben wir in den letzten 50 bis 100 Jahren fast 90% der globalen Arten- und Samenvielfalt verloren. Dieser nachlässige Umgang mit unserem Welterbe ist nicht nur ein unwiederbringlicher Verlust für die Geschmacksvielfalt auf unseren Tellern. Weniger Auswahl im Genpool der Natur, intensiv bewirtschaftete Monokulturen, degenerativ unfruchtbare Hybridsamen und patentierte Sorten und Rassen halten die Bäuerinnen und Bauern in einer unzumutbaren Abhängigkeit. Weiter auf Monokulturen, immer teurere synthetische Düngemittel und giftige Pestizide zu setzen, bring uns in die Sackgasse. Das ist fatal. Für ökologischere Systeme brauchen wir vielfältiges und robustes, lokal angepasstes Saatgut.“
Sarah Wiener, Grüne Agrar- und Umweltpolitikerin im Europaparlament ergänzt:
„Wer den Saatgutmarkt beherrscht, bestimmt auch, was bei jedem einzelnen Essenden auf den Teller kommt. Derzeit sind es vier Konzerne, die einen Großteil des Marktes für Saatgut kontrollieren: Corteva, Syngenta, BASF und Bayer. Nicht zufällig dieselben Unternehmen, die auch mit Agrarchemie Milliardengeschäfte machen. Anstatt das Welterbe Saatgut zu bewahren und sich die mannigfaltigen Sorten zunutze zu machen, haben diese Konzerne nur Profit im Sinn: Sie verkaufen passende Pestizide zu ihren wenigen, industriellen Saatgutvarianten und halten so nicht nur Bäuerinnen und Bauern in der Abhängigkeit, sondern ersticken auch die Vielfalt auf dem Markt im Keim. Die neue Saatgutverordnung muss diese Konzernmacht brechen, denn nur mit robusten, nicht-uniformen Sorten lässt sich die nötige Agrarwende vorantreiben.“
Weitere Informationen:
Study on EU reform of seeds marketing rules: Which seeds for a just transition to agroecological and sustainable food systems? (Deutsche Übersetzung der Studie folgt)
Präsentation der Saatgutstudie am Mittwoch, 8. Februar in der Ständigen Vertretung des Landes Niedersachsen, Rue Montoyer 61, Brüssel und online von 16.00 - 18.00 Uhr.
Die Veranstaltung findet in englischer und deutscher Sprache statt - im hybriden Format. Eine Verdolmetschung wird bereitgestellt. Zugangslink: https://gene-electra.zoom.us/j/84686416633