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Letzte Woche hat die Europäische Kommission die von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) erarbeitete Liste der Reserveantibiotika veröffentlicht. Alle Antibiotika, die auf der finalen Liste stehen, werden zukünftig für die Behandlung von Menschen reserviert bleiben, für Tiere also tabu sein. Die Liste ist Teil der neuen EU-Tierarzneimittelverordnung und ist in Zeiten zunehmender Antibiotikaresistenzen von elementarer Bedeutung für die Eindämmung von Antibiotikaresistenzen und die Behandlung erkrankter Menschen.

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen und Mitglied im Umwelt- und Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments, hat sich für die Bewahrung lebensrettender Antibiotika für die Humanmedizin eingesetzt. Er kommentiert:

„Die von der EMA vorgestellte Liste enttäuscht maßlos. Sie darf so keinesfalls zur gesetzlichen Vorgabe gemacht werden. Ich zähle jetzt auf die Mitgliedsländer, dass sie den EMA-Vorschlag grundlegend überarbeiten. Würde die Liste, so wie von der EMA vorgeschlagen, in Kraft treten, erreichen wir ganz sicher nicht eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Tiermast. Der weiteren Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen ist damit Tür und Tor geöffnet.

Der EMA-Vorschlag enthält ausschließlich antimikrobielle Mittel, die derzeit nicht als Arzneimittel in der EU zugelassen sind. Das heißt konkret: alles bleibt beim Alten. In diesem Licht erscheint die neue Tierarzneimittelverordnung als bloße Makulatur. Die Europäische Kommission kann diesen EMA-Vorschlag nicht hinnehmen, wenn sie sich nicht absolut unglaubwürdig machen möchte. Schließlich hat die Kommission selbst noch im September 2021 verkündet, dass ‚die Anzahl der antimikrobiellen Mittel, die noch für die Verwendung bei Tieren zur Verfügung stehen sollen, auf das absolute Minimum reduziert werden soll‘, siehe .

Die EMA-Liste setzt die Vorgaben der Tierarzneimittelverordnung nicht um, nach der Antibiotika in der Veterinärmedizin eingeschränkt werden müssen und Reserveantibiotika nur noch in dringenden Fällen eingesetzt werden dürfen. Im Gegenteil, der EMA-Vorschlag ist sogar kontraproduktiv, denn er ermöglicht es Pharmafirmen für den Bereich Tiermedizin neue Arzneimittel zuzulassen - mit Substanzen, die auch nach Meinung der WHO auf den Index gehören.

Selbst Colistin, eines der meistgenutzten Antibiotika in der Tiermast, ist nicht Teil der EMA-Liste.  Dabei gibt es immer mehr Fälle von Patientinnen und Patienten mit resistenten Keimen, bei denen Colistin das einzige Mittel ist, das noch wirkt.

Am morgigen Freitag wird die EMA ihren Vorschlag in der Arbeitsgruppe des Ständigen Ausschusses für Tierarzneimittel vorstellen, lehnt diese den Vorschlag ab, so muss er überarbeitet werden. Ich appelliere dringend an das Verantwortungsbewusstsein der Mitglieder dieses Ausschusses dem EMA-Vorschlag nicht zuzustimmen! Auch die einzelnen EU-Mitgliedsländer, die in einer späteren Phase der Listenfinalisierung, ihre Zustimmung oder Ablehnung zum Ausdruck bringen müssen, dürfen der Liste in dieser Form nicht zustimmen, wenn sie es ernst meinen mit der Eindämmung von Antibiotikaresistenzen.

Im Europäischen Parlament wird der Listenvorschlag der EMA am kommenden Dienstag vorgestellt. Im Gegensatz zur Position der Mitgliedsländer muss die Position des Europäischen Parlaments bei der Finalisierung der Liste aber nicht in Erwägung gezogen werden.“

Weitergehende Informationen:
PM von Martin Häusling zur neuen Tierarzneimittel-Verordnung: https://martin-haeusling.eu/presse-medien/pressemitteilungen/2813-ab-heute-gelten-sie-neue-regeln-fuer-tierarzneimittel-und-antibiotika.html

FAQ-Seite zum Einspruch gegen die Kriterien für die Erarbeitung der Liste der Reserveantibiotika: https://martin-haeusling.eu/themen/tierhaltung-und-tierschutz/2763-faq-zu-antibiotika-einwand.html

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

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