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2018 07 18 GiebelstadtGRÜNE Veranstaltung in Giebelstadt: Frühere Ernte ist ein Alarmzeichen

Giebelstadt, 18. Juli 2018 - Letztes Jahr die Starkregen, dieses Jahr die anhaltende Hitze. „Der Klimawandel ist längst da und hat nicht nur gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, sondern auch auf die Arbeit der Landwirte und auf die Ernte“, eröffnete Bezirks- und Kreisrat Gerhard Müller (Gerbrunn) eine Veranstaltung der GRÜNEN zum Thema „Agrarwende und Klimawandel“ in Giebelstadt. Als Gast aus dem Europaparlament stand der Agrarexperte Martin Häusling (MdEP) Rede und Antwort, ebenso mehrere Landwirte aus der Region. Mitten in der Erntezeit und kurzfristig organisiert hat der spannende Abend trotzdem viele Besucher erreicht.

Giebelstadts zweiter Bürgermeister Hermann Eidel verdeutlichte die aktuelle Situation seines Ortes: „Wir sind größtenteils landwirtschaftlich strukturiert und das Thema des Abends ist spannend und relevant, denn er ist schon da, der Klimawandel. Ein Blick auf die trockenen Felder und Wiesen genügt.“ Er ergänzte: „Die Ernte findet inzwischen drei bis vier Wochen früher statt als ich das aus meiner Kindheit kenne. Der Klimawandel ist nicht zu leugnen, er ist dramatisch spürbar.“

Das konnte der Europaabgeordnete bestätigen. Martin Häusling, seit 2009 im Europa-Parlament, ist gelernter Agrartechniker und Bio-Landwirt. Er arbeitet im Agrar- und Umweltausschuss und konnte die Beobachtungen in Giebelstadt in ein europäisches Gesamtbild einordnen. Dabei verdeutlichte er, dass gerade die Landwirtschaft eine Hauptrolle beim Klimawandel spielt: „Laut offiziellen Angaben entfallen 6% der schädlichen Klimagase auf die Landwirtschaft.“ Der tatsächliche Anteil an der Produktion schädlicher Klimagase durch die Landwirtschaft sei aber wesentlich höher: „Die Produktion von Düngemitteln wird der chemischen Industrie zugerechnet. Ebenfalls nicht im Landwirtschaftsbereich sind die Werte für all die landwirtschaftlichen Maschinen und LKWs, die Dünger ausbringen und ihn, ebenso wie Getreide und Tiere transportieren. Rechnet man das dazu, fallen nämlich schon ca. 16% der Treibhausgase direkt in den Bereich der Landwirtschaft.“

Häusling analysiert auch die Situation der Landwirtschaft außerhalb von Europa und die Beziehungen mit der hiesigen Wirtschaft: „In Südamerika werden 24 Millionen Hektar, eine Fläche so groß wie Österreich, genutzt, um Futtermittel für die europäische Massentierhaltung zu produzieren. Diese Flächen waren oft Regenwälder, die abgeholzt wurden und werden. Es sind Flächen, die der einheimischen Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen. Für die Klimabilanz dieser Länder und die negativen Effekte in diesen Ländern sind wir verantwortlich“, erklärt der Experte. „Sowohl wir als Verbraucher als auch die EU als politische Institution können und müssen endlich konsequent die Weichen stellen für eine nachhaltige, ökologische Landwirtschaft.“

Die Absurdität dessen, was momentan praktiziert wird, zeigt der Parlamentarier an folgendem Beispiel: „In Südamerika gelten keine [europäischen] Umweltstandards. Während hier über Glyphosat und Gentechnik diskutiert wird, spielt das dort keine Rolle. Auch wenn wir hier in diesen Bereichen kleine Erfolge erzielen mögen, verblassen diese und zeigen die Doppelmoral der Agrarpolitik im Angesicht dessen, was wir u.a. in Südamerika zu verantworten haben.“

Er plädiert mit Leidenschaft: „Der Handlungsbedarf in der Agrarpolitik ist riesig, auch wenn wir nicht nach Südamerika, sondern vor unsere eigene Haustür schauen und u.a. sehen, wie viele Milchbauern hier jährlich aufgeben.“ Kleine und einzelne Schritte können schon längst nicht mehr helfen, sondern große, strukturelle Reformen seien nötig. „Das System ist nicht mehr tragbar“, sagt Häusling. „Die EU steckt jährlich 56 Milliarden Euro in die Landwirtschaft. 40% davon gehen als Direktzahlungen an Bauern in Form eines Festbetrages je Hektar Land“. Dabei spiele es keine Rolle, was wie angebaut werde. „Die Verteilung der EU-Gelder passt nicht mehr zu den aktuellen Problemen“, so Häusling weiter, ebenso wenig wie ungebremste Freihandelsabkommen: „Der Wahnsinn der Freihandelsabkommen muss aufhören. Wenn die EU ohne Zölle landwirtschaftliche Produkte aus Großbetrieben in andere Länder exportieren will, ist es logisch, dass auch diese Länder Marktöffnung unsererseits verlangen und viele unserer kleinbäuerlichen Landwirte dann am kürzeren Hebel sitzen“. Politik müsse aber eingreifen können, Handel braucht Grenzen, sagt Häusling.

Für den EU-Politiker ist die Richtung der Umstrukturierung innerhalb der EU klar. „Bauern müssen für Umweltleistungen belohnt werden, die Verteilung der EU-Milliarden muss unter völlig neuen Gesichtspunkten neu geregelt werden“, sagt er. „Der Verlust der Biodiversität darf nicht finanziell bemessen werden, das ist sowieso unmöglich. Wir werden gerade Zeugen des vierten großen Artensterbens in einem nie da gewesenen Ausmaß. Den Verlust zu stoppen ist viel günstiger, als dann einzelne Projekte zu fördern, wenn es eigentlich schon zu spät ist“, macht Häusling deutlich.

Der Handlungsbedarf ist groß: „Die EU ist dafür verantwortlich, ihre eigenen Beschlüsse in ihren Mitgliedsländern umzusetzen. Allein gegen Deutschland laufen zurzeit 16 Verfahren wegen Umweltverfehlungen. Wenn Ziele nicht erfüllt werden, reicht es nicht, sie immer weiter in die Zukunft zu verschieben“, sagt er auch im Hinblick auf die Politik der Bundesregierung. „Wenn nach Meinung der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, der Wolf, die Bürokratisierung der Agrarpolitik und zu wenig Spritzmittel die größten Probleme der deutschen Landwirtschaft sind, ist das eine vollkommene Verleugnung der eigentlichen Probleme“, wird Häusling deutlich. Einmal bei der deutschen Politik gelandet, ist die Landtagswahl in Bayern natürlich nicht fern und so endet Häusling an diesem Abend mit den Worten: „Die Grünen im Landkreis Würzburg beackern die wichtigen Themen und bringen sie aufs Land, genau dahin, wo diese Debatte geführt werden muss.“

Nach viel Applaus schließt sich eine Podiumsdiskussion an, die Gerhard Müller, ebenfalls Kreisrat in Würzburg-Land, souverän moderiert. Paul Knoblach, Bio-Bauer, Kreisrat und Landtagskandidat aus Bergrheinfeld hat ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zur EU: „Es ist eine Hassliebe“, sagt er. „Die EU tut viel Gutes, aber viel kann und muss besser werden.“ Dabei verweist er auf die Verteilung der Gelder und plädiert wie Häusling für ein Entgelt für Umweltleistungen. Seine Entscheidung, in die Landwirtschaft zu gehen und auch einen Hofverkauf zu starten, bezeichnet er aber trotz allem als lohnend und betont dabei die „positiven persönlichen Rückmeldungen durch die Kunden, die direkt bei mir kaufen und dafür auch längere Anfahrtswege in Kauf nehmen.“ Dem Europapolitiker Häusling gibt er mit auf den Weg: „Die Förderung der Landwirte und der Landwirtschaft muss neu geregelt werden.“

Edith Sachse aus Burggrumbach ist Landwirtin und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Auch sie stellt sich Publikumsfragen und macht klar, dass Bauern und Bauernverband nicht automatisch einer Meinung sind. „Die AbL ist durchaus eher in Opposition zum Bauernverband“, sagt sie und nennt „land grabbing“ (Aneignung von Land/Agrarfläche durch wirtschaftlich und/oder politisch durchsetzungsstarke Akteure) als ein wesentliches Stichwort. „Der Bauernverband ist ein solcher Akteur und der einzelne Bauer sieht sich dessen Aktionen und Entscheidungen oft hilflos gegenüber“, macht Sachse das Problem greifbar. Weiterhin führt sie aus, dass „es schwer ist, andere Theorien, Meinungen und Ideen in den Bauernverband zu tragen, diese dort zu vermitteln und zu etablieren.“ Hier pflichtet ihr Häusling bei und schildert eigene Beobachtungen: „Landwirten wurde abgewöhnt, politisch zu sein. Sie werden nur zu Produktionstechnikern ausgebildet. Sie erhalten 16 – 17% von dem, was mit ihren Produkten verdient wird. Dadurch müssen sie immer schneller und immer mehr produzieren, während Lebensmittelindustrie und Großkonzerne vom aktuellen System profitieren und kein Interesse daran haben, etwas zu verändern.“

Hans Plate aus Hüttenheim, Kreisrat, Landtagskandidat und Bio-Bauer, nutzt auf dem Podium die Gelegenheit, um direkt die Verbraucher anzusprechen: „Die Verbraucherseite muss den Markt fordern“, sagt er, „und Bio-Premium-Ware nachfragen.“ Sein Wunsch an Häusling ist dann auch einer, der in diese Richtung zielt: „Eine Haltungskennzeichnung für Fleisch und ein einheitliches Siegel für Tierwohl, denn diese Dinge rechtfertigen höhere Preise, die wir den Kunden so vermitteln und erklären können.“ Er berichtet noch von einem ganz besonderen Erlebnis auf seinen Feldern, als er nur knapp unter der Oberfläche auf Überreste von Langhäusern und Öfen der Kelten stieß. „Auf meinem Land gibt es offensichtlich eine lange Tradition der Landwirtschaft und dem fühle ich mich verpflichtet“, erzählt Plate.

Fred Stahl, Kreisrat und ebenfalls Bio-Bauer aus Theilheim, komplettiert die Runde der Experten. Von Bezirksrat Müller wird er gefragt, warum er im Rentenalter jetzt noch auf dem Acker schufte. „Ich bin mit Landwirtschaft groß geworden und irgendwann reifte in mir die Erkenntnis: das muss auch anders gehen - also tue ich es.“ Stahl sieht in der ökologischen Landwirtschaft eine echte Systemalternative und kann dem Europaabgeordneten somit nur beipflichten: „Europäische Gelder müssen der ländlichen Struktur helfen. Wir brauchen neben Bio-Bauern Metzger und Bäcker in den Dörfern. Die Kommerzialisierung der Öko-Landwirtschaft ist mit Vorsicht zu genießen. Aldi ist inzwischen größter Anbieter von Öko-Produkten, diese sind aber nicht regional“, gibt er zu bedenken.

Der diskussionsfreudige Abend geht zu Ende mit dem Versprechen Häuslings die regionalen Themen in den Europa-Wahlkampf 2019 zu tragen. „Die Regierungen müssen über Klima, fairen Handel und Agrarpolitik reden! Wir, Landwirte, Klima- und Tierschützer, ebenso wie Verbraucher, dürfen nicht zulassen, dass sie diese Themen von der Agenda nehmen. Die Diskussion muss in die Gesellschaft, der Landwirtschaft muss ein Gesicht gegeben werden.“