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Euractiv - Gastbeitrag Martin Häusling

Dosen leerSie steckt  in den inneren Beschichtungen von Konservendosen,  in Deckeldichtungen oder Plastikverpackungen:  die Chemikalie Bisphenol A. Dabei können selbst kleinste Mengen des Stoffes ins menschliche Hormonsystem eingreifen und zu dauerhaften Veränderungen führen. Dennoch bleibt die Substanz – vorerst – erlaubt.

Zwar wird der Grenzwert nach einer Abstimmung  im Umwelt- und Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments deutlich gesenkt. Doch für das von zahlreichen Parlamentariern angestrebte Verbot fand sich keine Mehrheit, womit es Bisphenol A dann nicht mehr auf die Tagesordnung des Europäischen Parlaments schaffte. Dort sollte eigentlich über eine Entschließung abgestimmt werden, um die Verwendung der Chemikalie Bisphenol A (BPA) in Lebensmittelkontaktmaterialien zu untersagen. Ohne Behandlung im Plenum aber nahm außerhalb des EU-Zirkels kaum jemand Notiz von dem brisanten Thema. Nur wenige NGOs bekamen von der Debatte etwas mit.

Bisphenol A – worum geht es?

Bisphenol A  ist eine Chemikalie, die bei der Herstellung des Kunststoffes Polycarbonat eingesetzt wird. Uns begegnet sie im täglichen Leben, und zwar unter anderem in der Verpackung von Lebensmitteln. Der umstrittene, auch in Weichmachern enthaltene hormonelle Schadstoff kann in Plastiktrinkflaschen, Plastikgeschirr, der Innenbeschichtung sowie den Deckeldichtungen von Konservendosen stecken – und sogar in beschichteten Thermopapier-Kassenbons. Der Haken an der Sache ist: Die Chemikalie bleibt nicht in der Verpackung, sondern kann auf das Lebensmittel übergehen, das sie verhüllt. Das geschieht je nach Art des Lebensmittels in größerer oder kleinerer Menge. Die Umgebungstemperatur spielt eine Rolle und die Häufigkeit der Erhitzung des Lebensmittels.

Bisphenol A zählt zu den endokrinen Disruptoren. Das sind Stoffe, die auf das Hormonsystem einwirken. Die Substanz imitiert im Körper die Funktion des weiblichen Sexualhormons Östrogen. Sie dockt an den Zellen an, die Östrogen erwarten.  Die hormongesteuerte Entwicklung läuft von dem Moment an in eine unerwünschte Richtung. Die Chemikalie wird deshalb in Verbindung gebracht mit der Fehlbildung von Geschlechtsorganen, mit Unfruchtbarkeit, hormonell bedingten Krebsarten wie Hoden-, Prostata- und Brustkrebs, aber auch mit Lern- und Verhaltensstörungen bei Kindern sowie Adipositas und Diabetes Typs 2.

Die Europäische Chemikalienagentur ECHA stufte Bisphenol A aufgrund dieser Eigenschaften im Juni 2017 als „besonders besorgniserregende Substanz“‘ ein. Von dem Stoff ausgelöste „ernsthafte Gesundheitsauswirkungen“ seien „dauerhaft und irreversibel‘.

Gehört eine solche Substanz nicht aus dem Verkehr gezogen?

Bisphenol A ist eine tickende Zeitbombe. Seit Jahren gibt es immer wieder Bestrebungen, die Chemikalie aus unserem Alltag zu verbannen. Seit 2011 ist BPA EU-weit in Babyflaschen verboten. Für andere Stoffe, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, gab es teilweise Grenzwerte für die Menge, die von der Verpackung ins Lebensmittel übergehen darf.

Einigen Ländern ging das nicht weit genug. Frankreich setzt so seit 2015 auf ein Komplettverbot in allen Lebensmittelkontaktmaterialien. Länder wie Belgien, Schweden und Dänemark haben eigene Standards entwickelt, die über die EU-Vorgaben hinausgehen. Deutschland will ab 2020 das Hormongift in Thermopapier (zum Beispiel Kassenzettel) bestehen, verbieten.

Wie will die EU Bisphenol A regeln?

Die Europäische Kommission, Generaldirektion Gesundheit, hat im August 2017 einen Vorschlag für eine Verordnung veröffentlicht, die zukünftig EU-weit die Verwendung von Bisphenol A in Lacken und Beschichtungen sowie Plastikstoffen, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, regeln soll. Dieser Verordnungsvorschlag stützt sich auf eine Stellungnahme der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, aus dem Jahr 2015 und genehmigt 0,05 Milligramm BPA pro Kilogramm Lebensmittel. Das ist zwar nur ein Zwölftel des bisher erlaubten Wertes – und trotzdem viel zu viel!

Nur kein Bisphenol A bedeutet kein Risiko!

Wissenschaftliche Studien belegen, dass bei endokrinen Disruptoren, im Unterschied zu vielen anderen Chemikalien, nicht die Dosis das Gift macht. Vielmehr entscheidet der Zeitpunkt, zu dem ein Organismus der Chemikalie ausgesetzt ist, über das Ausmaß des Schadens. Besonders gefährdet sind Föten, Babys, Kleinkinder und auch Teenager. In ihren Körpern laufen besonders viele und wichtige hormongesteuerte Prozesse ab.
 Tückisch ist zudem, dass es im Körper zu „Cocktaileffekten“ kommen kann, wenn verschiedene Chemikalien aufeinander treffen. So zeigt zum Beispiel eine Studie von 2017, dass die Auswirkungen von BPA auf das Hormon Testosteron im Gewebe menschlicher Föten um das zehnfache steigen kann, wenn die hormonelle Substanz mit sieben anderen Chemikalien kombiniert wird. Bei der Vielzahl von Alltagschemikalien, die uns in Hygieneartikeln und Kosmetika, Möbeln und Einrichtungsgegenständen, Kleidung oder Luftverschmutzung begegnen, ist es kaum möglich auszuweichen.

Die Europäische Kommission hätte nun die Möglichkeit gehabt, unser Alltagsleben von einer Chemikalie zu befreien. Sie hat es nicht getan. Dass sie, in Ergänzung zum BPA-Verbot in Babyflaschen dieses nun auch in Trink-Lernbechern und Schnabeltassen für Kleinkinder verbieten will, wirkt wie Hohn. Jeder weiß, dass kleine Kinder mit Vorliebe den Großen nacheifern und zu ganz anderen Gefäßen greifen.

Abstimmung im Umwelt- und Gesundheitsausschuss

Gegen den Kommissionsvorschlag habe ich Einspruch eingelegt. Hätte das Plenum des Parlaments meinen Einspruch mitgetragen, so hätte die Kommission ihren Gesetzesvorschlag überarbeiten müssen. Schockierenderweise blieb der Einspruch jedoch im Umwelt- und Gesundheitssauschuss stecken, eine Mehrheit der Abgeordneten verweigerte ihm die Zustimmung. Tenor der Kollegen der Konservativen und Sozialisten war sinngemäß: „Auch wir sind gegen BPA. Aber wenn wir jetzt nicht dem Gesetzesvorschlag der Kommission zustimmen, wird es vier Jahre dauern, bis ein neuer Vorschlag auf dem Tisch liegt. So haben wir doch immerhin schon einen Schritt in die richtige Richtung getan.“

Haben sich diese Parlamentarier nicht intensiv genug mit der Materie befasst? Nur ein Totalverbot von Bisphenol A wäre ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, doch auch er wäre nur ein Teilerfolg. Denn der Gehalt von Bisphenol A in anderen Lebensmittelverpackungen – etwa Papier und Karton – wäre damit auch noch nicht geregelt.

Oder stecken andere Kräfte hinter dem Abstimmungsergebnis? Die Generaldirektion Gesundheit hatte sich in den letzten Wochen mit den Verantwortlichen der Fraktionen zu Einzelgesprächen getroffen. Nicht vergessen werden sollten auch die Lebensmittel- und die Chemie-Industrie. Wer weiß, dass pro Jahr weltweit sechs Millionen Tonnen BPA produziert werden, ahnt, wessen Interessen eine Rolle spielen. Die Bayer AG zählt zu den größten Bisphenol-A-Produzenten.

Ausblick

Voraussichtlich im September 2018 wird die neue Verordnung in Kraft treten. Frankreich sieht sich dann möglicherweise einem Vertragsverletzungsverfahren durch Industrie oder Kommission ausgesetzt, da es mit seinem Totalverbot die lascheren Vorgaben der EU torpediert. Eine paradoxe Situation, gerade im Sinne des vorsorgenden Verbraucherschutzes.

Martin Häusling ist Agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses.

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