Grüne Europagruppe Grüne EFA

TAZ - Eine „Europäische Bio-Agentur“ soll den Kampf gegen Etikettenschwindel beim Bio-Siegel effizienter machen. Die Anträge liegen der taz exklusiv vor.

BERLIN taz | Was ist das Bio-Siegel eigentlich noch wert? Betrüger verkauften billiges konventionelles Schweinefleisch als teure Ökoware, Bio-Legehennen bekamen mit Pestiziden verseuchtes Futter aus der Ukraine, und bis heute pferchen Agrarindustrielle 24.000 Ökotiere in ein Gebäude. Doch jetzt soll Bio wieder mehr dem entsprechen, was viele Verbraucher erwarten.

Dazu soll vor allem eine neue „Europäische Bio-Agentur“ beitragen, wie aus dem Entwurf einer neuen Öko-Verordnung hervorgeht, den der grüne Abgeordnete Martin Häusling als „Berichterstatter“ im Auftrag aller Fraktionen des EU-Parlaments geschrieben hat. Die Behörde müsse „Information und Aktivitäten in Verdachtsfällen koordinieren, von denen mehr als ein Mitgliedstaat und/oder Drittländer betroffen sind“, heißt es in Häuslings Änderungsanträgen zu dem vor einem Jahr vorgelegten Verordnungsentwurf der EU-Kommission.

Die 350 Anträge lagen am Wochenende der taz exklusiv vor. In der Regel übernimmt die Mehrheit der Parlamentarier die meisten Vorschläge der Berichterstatter.

Manche EU-Länder haben die Verbraucher bisher nicht konsequent genug vor Betrug geschützt, beispielsweise im Fall des konventionellen Futters für Biolegehennen: Während deutsche Behörden Eiern aus den betroffenen Hühnerfarmen das Bio-Siegel entzogen, ließen die Niederlande die Ware auf dem Ökomarkt, klagt Häusling. Besonders Italien und Rumänien wird immer wieder vorgeworfen, bei mutmaßlichen Betrugsfällen erst ausreichend zu informieren, wenn die Produkte bereits verbraucht wurden.

Eine EU-Bio-Agentur könnte durch ständiges Nachfragen, Datenaustausch und Mängelberichte den Druck erhöhen, die Gesetze effizienter durchzusetzen, und so Betrüger abschrecken.

„Bisher keine Kontrolle der Kontrolle“

Die Agentur würde Häuslings Entwurf zufolge auch die Öko-Kontrollstellen in Ländern außerhalb der EU überwachen, die Bioware nach Europa exportieren. „Bisher gibt es keine Kontrolle der Kontrolle“, kritisiert der Parlamentarier.

Die EU-Kommission dagegen will das Problem korruptionsanfälliger Importe aus Drittländern in den Griff bekommen, indem auch Lieferanten etwa in Afrika künftig die europäischen Ökoregeln ohne Ausnahme einhalten müssen. „Ich kann aber nicht erwarten, dass sie in Burkina Faso plötzlich mit Ökosaatgut arbeiten, wenn sie gerade froh sind, dass sie Schädlinge in den Griff kriegen ohne Spritzmittel“, meint Häusling. Die deutschen Biobauern hätten anfangs ja auch Kompromisse gemacht. Der Grüne will deshalb weiterhin eigene, nicht ganz so strenge Ökostandards für Drittländer akzeptieren.

Warum Bio?

Das Problem: Vor allem die Landwirtschaft ist schuld daran, dass Tier- und Pflanzenarten aussterben. Dünger belasten das Grundwasser sowie Flüsse, Seen und Meere. Auch Pflanzenschutzmittel sowie Medikamentenrückstände aus der Massentierhaltung können Ökosystemen gefährlich werden. Mit laut Umweltbundesamt 7,5 Prozent der Treibhausgasemissionen ist die Branche der zweitgrößte Klimakiller Deutschlands. Zudem ist sie der größte Tierhalter.

Die Ökolösung: EU-weit arbeiten etwa 190.000 Landwirte ökologisch. Die Biolandwirte dürfen keine chemisch-synthetischen Pestizide und keine Kunstdünger benutzen, die die Artenvielfalt gefährden und das Klima belasten. Ihre Tiere müssen grundsätzlich Auslauf und mehr Platz als in der konventionellen Haltung bekommen. (jma)

Zwar überprüft das EU-Lebensmittel- und Veterinäramt (FVO) schon jetzt, wie einzelne Länder kontrollieren. Aber Häusling sagt: „Das FVO hat nur zwei Leute für den Biobereich.“ Die neue Bio-Agentur dagegen solle in der Anfangsphase 20 bis 50 Beschäftigte haben.

Doch Häusling will das Vertrauen in das Bio-Siegel nicht nur durch effizientere Kontrollen stärken. Auch „die Industrialisierung der Ökobranche“ möchte er eindämmen. Künftig sollen nur noch 12.000 Legehennen pro Betrieb erlaubt sein. Auch bei Schweinen will Häusling kleinere Höfe schützen: Jeder Betrieb soll maximal 1.500 Schlachtschweine oder 200 Sauen pro Jahr liefern. Der Seuchendruck und der daraus folgende Antibiotikaeinsatz hänge auch damit zusammen, wie viele Tiere auf einem Fleck leben, argumentiert der Abgeordnete.
Abstriche bei Auslauf im Grünen

Verbraucher erwarten auch, dass Biotiere Auslauf im Grünen haben. Aber in diesem Punkt macht er Abstriche, was die Haltung der Elterntiere von Legehennen angeht. Sein Entwurf erlaubt statt eines Grünauslaufs einen Unterstand mit Maschendrahtwänden. „Viele Branchenvertreter, auch mittelständische, haben mir gesagt: Sonst steigen wir nicht in die Zucht ein.“ Das Risiko, dass sich Elterntiere, die teurer sind als normale Legehennen, über Wildvögel im offenen Auslauf etwa mit Salmonellen infizieren, sei zu hoch.

Zudem will die EU-Kommission das Verbrauchervertrauen in Bio vor allem durch einen besonders niedrigen Pestizidgrenzwert extra für Ökolebensmittel stärken. Dann dürften Biobauern ihre Ernte nicht mit Bio-Siegel verkaufen, wenn ohne ihr Verschulden Chemie von konventionellen Nachbarfeldern herüberweht. Um Risiken auszuschließen, müssten Landwirte und Händler viel mehr Laboranalysen bezahlen. Laut einer Schätzung des Statistischen Bundesamts, die der taz vorliegt, würden die zusätzlichen Untersuchungen allein die deutsche Ökobranche jährlich 86 bis 146 Millionen Euro kosten. So könnte die Regelung viele Betriebe von Bio abbringen. Deshalb hat Häusling diesen Plan in seinem Entwurf gestrichen.

Der Hesse will jedoch Bauern Hemmungen nehmen, Verunreinigungen zu melden. Deshalb fordert er eine Entschädigung für den wirtschaftlichen Schaden, selbst wenn der Verursacher nicht zahlt.

Weiterhin Bioware im Kiosk

Eine Änderung will Häusling auch in einem anderen Punkt erzielen: Bioware soll auch weiter in Läden wie Spätverkäufen oder Kiosken verfügbar sein, die nur ein paar abgepackte Bioprodukte führen. Die EU-Kommission will, dass sich auch diese Händler in Zukunft von einer Öko-Kontrollstelle überprüfen lassen müssen – kostenpflichtig natürlich. Obwohl das Betrugsrisiko hier gegen null tendiert. Häusling will stattdessen Inspektionen für Öko-Catering-Unternehmen vorschreiben.

Anders als von der Kommission gefordert, sollen Biolandwirte Saatgut und Jungtiere aus konventioneller Produktion auch nach 2021 verwenden dürfen – wenn es nicht genug Bioware gibt. „Vor allem in Osteuropa würde ohne diese Ausnahmen keiner auf Bio umstellen, weil das Angebot einfach nicht da ist“, so Häusling. Die EU-Kommission soll aber beim Saatgut mindestens alle zwei Jahre ermitteln, wie groß die Lücke ist. Wird weniger als 80 Prozent der Nachfrage gedeckt, müsste die Behörde mit Förderung gegensteuern.

„Häuslings Bericht ist die bestmögliche Lösung“, sagte Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der taz. [Pressemitteilung BÖLW v. 24.04.15: Häusling-Bericht zur Revision des Bio-Rechts: Die Richtung stimmtHäusling-Bericht zur Revision des Bio-Rechts: Die Richtung stimmt] Er lehnte es jedoch ab, die Zahl der Tiere pro Betrieb zu begrenzen. Die Regel könne leicht ausgehebelt werden, indem man einen großen Betrieb in mehrere kleine teilt, argumentierte Löwenstein.

Der Bio-Experte der konservativen EVP-Fraktion, Norbert Lins (CDU), zeigte sich zwar über den Vorschlag zur EU-Bio-Agentur „ein wenig skeptisch, weil solche Agenturen oft ein Eigenleben entwickeln, das nicht hilfreich ist“. Aber er sprach sich nicht gegen den Plan aus. Ausdrücklich begrüßte er, dass Häusling den eigenen Pestizidgrenzwert für die Biobranche verhindern will.

Der beim Thema federführende Agrarausschuss wird voraussichtlich im Juli abstimmen. Die Parlamentarier müssen sich dann noch mit dem Rat der Mitgliedstaaten und der Kommission einigen.

Schlagwörter:

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

Pressemitteilungen