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HNA - Interview: Europaabgeordneter Häusling zur Situation der Landwirtschaft

Fritzlar. Wir sprachen mit dem Europa-Abgeordneten Martin Häusling aus Bad Zwesten-Oberurff über Massentierhaltung und die geplante Erweiterung eines großen Schlachtbetriebes in Gudensberg.

Wie kommt es, Herr Häusling, dass sich die Landwirtschaft immer stärker von den Menschen und die Menschen immer stärker von der Landwirtschaft entfremden?

Häusling: Das hat damit zu tun, dass die Landwirtschaft nicht mehr so prägend ist und viele Menschen keinen direkten Bezug mehr zur Landwirtschaft haben.

Liegt es auch daran, dass in den Dörfern Raum für Entwicklung fehlt?

Häusling: Früher hatte man freien Zugang zu den Ställen, heute stehen sie an den Ortsrändern, und die meisten wissen nicht mehr, wie Tierhaltung heute funktioniert. Das hat sich in den vergangenen 20 Jahren schon gravierend verändert.

Sind die Menschen heute auch sensibler geworden, was beispielsweise Geruchsbelästigungen angeht?

Häusling: Heute ist das Problem die Konzentration der Tiermastanlagen. Sowohl die Abluft als auch das Ausbringen von Gülle von tausenden von Schweinen und Hühnern ist extrem belastend.

Wann sind den Grenzen erreicht, was Massentierhaltung betrifft?

Häusling: Der Schwalm-Eder-Kreis entwickelt sich zu einer Region wie wir sie auch in Niedersachsen haben, mit der Konzentration von Tieren rund um Schlachthöfe. Wie das am Ende aussehen kann, kann man in Cloppenburg besichtigen. Das hat dort vor 20 Jahren auch so angefangen. Die Möglichkeiten dieser Region sind jetzt ausgeschöpft, und meine Sorge ist, dass sich die Entwicklung nach Nordhessen verlagert. Der Schlachthof in Gudensberg ist ein starker Anziehungspunkt.

Im Schwalm-Eder-Kreis wächst der Widerstand zwar, aber er ist noch nicht so groß wie im Landkreis Cloppenburg. Jetzt nimmt der Landkreis dort im Gegensatz zum Schwalm-Eder-Kreis seine Verantwortung wahr und macht stärkere Auflagen.

Kann es denn überhaupt ein Zurück zur bäuerlichen Landwirtschaft geben?

Häusling: Es ist schwer zu definieren, was bäuerliche Landwirtschaft ist. Politik und Verbraucher haben es aber in der Hand, wie sich eine Landwirtschaft entwickelt.

Es klingt ja immer so, als hätten die Betriebe eigentlich gar keine andere Chance als zu wachsen - oder?

Häusling: Das ungezügelte Wachstum bei fallenden Preisen hat der Landwirtschaft überhaupt nichts gebracht. Der größte Feind des Bauern ist nicht die Politik, sondern der Bauer selbst.

Klingt provokativ.

Häusling: Wenn man sieht, wie sich Bauern bei den Pachtpreisen gegenseitig aus dem Markt schießen, übersteigt das jede Vernunft. Auch innerhalb der Landwirtschaft findet also ein Verdrängungswettbewerb statt.

Sie haben die Preise angesprochen. In vielen Bereichen sind die Erzeugerpreise nicht mehr auskömmlich. Was sind die Ursachen?

Häusling: Das ist eine Politik, die mit Unterstützung des Bauernverbandes den Eindruck erweckt, dass der Weltmarkt nur auf die Produkte aus Deutschland wartet. Das war offenbar ein Selbstbetrug, wie man jetzt sieht. Die massenhafte Billigpolitik schlägt jetzt auf die Bauern zurück. Bei der Milch haben wir die Situation, dass die Bauern Amok melken.

Was tun die Bauern?

Häusling: Es wird gemolken wie noch nie, in der Hoffnung, dass man die Milch los wird. Das führt zwangsläufig zu einem Zusammenbruch des Preises. Bei Milch müsste man dringend eine Bremse einziehen und nur so viel produzieren wie der Markt abnimmt.

Also war die Milchquote, die 2015 abgeschafft wird, ein vernünftiges Instrument?

Häusling: Danach werden sich spätestens in einem Jahr noch viele Menschen zurücksehnen. Der Preisverfall wird noch drastischer werden.

Wie wird sich das im Schwalm-Eder-Kreis auswirken?

Häusling: Hier haben wir es ja bereits mit einem ziemlich drastischen Strukturwandel zu tun. Bundesweit hatten wir 2008 noch 130 000 Milchviehbetriebe, jetzt haben wir schon 40 000 weniger.

Welche Rolle spielen dabei die großen Handelsketten?

Häusling: Das sind ja keine sozialen Unternehmen. Wenn es ein Überangebot gibt, drücken sie die Preise. Wenn die Politik diese Monopole nicht hinterfragt, ändert sich nichts. Die Frage an die Bauern ist, ob sie nicht besser auf Qualität und Regionalität setzen sollten.

Wird das denn wirklich von den Verbrauchern honoriert? Die wollen ja möglichst günstige Lebensmittel kaufen.

Häusling: Es gibt schon klar einen Trend, dass die Leute wissen wollen, woher ihre Nahrungsmittel kommen und wie die Qualität ist.

Es können aber wohl nicht alle Bauern auf Bio setzen.

Häusling: Darum geht es nicht, aber die Produkte müssten klarer gekennzeichnet werden. Wenn die Qualität stimmt, zahlen die Menschen auch ein paar Cent mehr. Die Verbraucher haben eine große Macht, man muss ihnen aber auch die Möglichkeit geben, sie sinnvoll einzusetzen.

Aber fördert die EU nicht geradezu den eben beschriebenen Strukturwandel?

Häusling: Richtig ist: Bauern werden nicht mehr für ihre Produkte bezahlt, sondern es gibt Beihilfen pro Hektar. Daraus ergibt sich, dass große Betriebe entsprechend ihrer Hektarzahl mehr bekommen. Das ist keine Förderung wie ich sie mir vorstelle.

Ich wäre dafür, dass es eine Obergrenze für die Förderung von 100.000 Euro gibt. Agrarindustrieunternehmen sollten gar kein Geld bekommen. Das Geld fehlt uns für Strukturmaßnahmen und zur Förderung der ländlichen Entwicklung.

Aber hängen die Betriebe nicht vielfach am Tropf der EU?

Häusling: Ja, perspektivisch wäre es viel sinnvoller, dass die Bauern von ihren Erträgen leben können. Dann müssten die Bauern aber auch mindestens 45 Cent für den Liter Milch bekommen und nicht wie jetzt nur 30 Cent.

Derzeit bekommen die Verbraucher zwar günstige Lebensmittel, die Steuerzahler bringen aber auch die Subventionen auf.

Wie wird sich die Situation durch das Freihandelsabkommen TTIP für die Landwirtschaft verändern?

Häusling: Ich sehe für die Landwirtschaft wenig Chancen. Das US-amerikanische System ist ja noch viel stärker auf eine Industrialisierung der Landwirtschaft ausgerichtet. Dagegen kann die europäische Landwirtschaft nicht standhalten. Die Bauern hier müssten noch günstiger produzieren. Es ist auch völlig inakzeptabel, dass die Kriterien für das Freihandelsabkommen in den Hinterzimmern ausgehandelt werden. Die Parlamente sind nach wie vor nicht involviert.

Welche Perspektive sehen Sie also?

Häusling: Ich sehe keine Perspektive in dem Freihandelsabkommen. Der Deal könnte so sein, dass unsere stärkeren Normen im Verbraucherschutz und im Tierschutz gelockert werden, zugunsten des Exports von Industriegütern.

Martin Häusling ist 53 Jahre alt. Er ist gelernter Agrartechniker, seinen Hof im Bad Zwestener Ortsteil Oberurff, der nach Bioland-Richtlinien arbeitet, führen seit Jahren schon Häuslings Ehefrau Marianne und sein Sohn. Martin Häusling gehörte für Bündnis 90/Die Grünen von 2003 bis 2008 dem hessischen Landtag an. 2009 zog er erneut in den Landtag ein, legte das Mandat aber im Juni 2009 nieder, als er in das Europaparlament gewählt wurde. Er ist dort Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung.

Von Heinz Rohde

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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