Grüne Europagruppe Grüne EFA

 Süddeutsche Zeitung / 23. Januar 2014 / Von Silvia Liebrich

 Nur mit Gentechnik auf dem Acker lasse sich die wachsende Weltbevölkerung ernähren, behaupten die großen Agrarkonzerne. Eine Studie zeigt nun aber, dass die Ernte keinesfalls größer ist als in der normalen Landwirtschaft - es werden sogar mehr Pestizide eingesetzt.

Grüne Gentechnik ist in Europa heftig umstritten. Drei Viertel der Europäer lehnen gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. Bis auf wenige Ausnahmen dürfen diese in der EU auch nicht als Nahrungsmittel verkauft werden, weil nicht klar ist, welche langfristigen Risiken damit verbunden sind. Mindestens genauso umstritten ist jedoch, ob gentechnisch veränderte Pflanzen tatsächlich die von der Agrarindustrie versprochenen höheren Ernteerträge bringen.

Ohne Gentechnik lasse sich die wachsende Weltbevölkerung nicht ernähren, argumentieren Unternehmen wie Bayer, BASF, Syngenta und Monsanto, die solche Pflanzen entwickeln. Außerhalb der EU-Grenzen machen sie damit gute Geschäfte, auch weil sie passend dazu speziell entwickelte Pestizide und Düngemittel verkaufen.

Die Grünen haben dieses Geschäftsmodell nun in einer Untersuchung kritisch beleuchtet und kommen zu dem Ergebnis, dass Gentechnik auf dem Acker unter dem Strich keine ökonomischen Vorteile bringt. Die Untersuchung wurde an diesem Donnerstag in Berlin vorgelegt. "Die Landwirtschaft in den USA ist im Vergleich zu der Westeuropas in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht sogar zurückgefallen - weil sie auf Gentechnik gesetzt hat", sagt Martin Häusling, Agrarexperte der Grünen im EU-Parlament.

Das ist eine provokante Aussage. Häusling verweist unter anderem auf eine Studie der University of Canterbury in Neuseeland. Das Team von Professor Jack Heinemann verglich Ernteerträge, Pestizideinsatz und Sortenvielfalt von gentechnisch verändertem Mais, Raps und Soja mit konventionellen Sorten. Sie kamen dabei zu dem Ergebnis, dass die Kombination von herkömmlichem Saatgut und guter Feldpflege, wie sie in Westeuropa praktiziert wird, die Ernteerträge schneller wachsen lässt, als die in den USA praktizierten Gentechnik-Anbaumethoden.

Auffällig sei dabei, dass bei Gentechnik-Saatgut am Anfang durchaus ein guter Zuwachs zu verzeichnen sei, der aber schon nach wenigen Jahren seinen Höhepunkt erreicht. Danach sinken die Erträge sogar zum Teil wieder, so die Beobachtung. Was jedoch weiterhin hoch bleibt, ist der Einsatz an Pestiziden, und das erhöht die Kosten.

Nicht nur in den USA, auch in Brasilien und Argentinien wachsen auf einem großen Teil der Agrarfläche Pflanzen, die in Biotechnologie-Laboren entwickelt wurden. Doch der massive Einsatz von Unkrautvernichtungsmittel hat negative Seiten, die immer deutlicher zutage treten: Es breiten sich sogenannte Superunkräuter aus, die resistent sind gegen großflächig eingesetzte Mittel wie Glyphosat. Und das bereitet den Farmern Probleme. Der Unkrautvernichter ist weltweit das am meisten verkaufte Präparat in der Landwirtschaft und wird häufig in Kombination mit Gentech-Pflanzen eingesetzt. Entwickelt wurde es ursprünglich von Monsanto, kommt aber nach Auslaufen der Patente inzwischen auch von anderen Produzenten.

Häusling von den Grünen macht die Gentechnik mitverantwortlich für diese Fehlentwicklung. In einigen Regionen der USA wachsen die Unkräuter nach einem Bericht des Handelsblatt bereits auf einem großen Teil der Felder, auf denen zu 90 Prozent gentechnisch verändertes Saatgut wächst. Das Wissenschaftsmagazin Science sieht die USA auf eine Krise zusteuern. Die Agrarindustrie weist den Verdacht jedoch zurück. Dass Pflanzen Resistenzen entwickeln, sei völlig normal und eine Folge natürlicher Selektion.

Gentechnikkritiker sehen das anders: "Die anfänglichen Vorteile beim Anbau herbizidresistenter Pflanzen in Form von Arbeitszeitersparnis und geringeren Aufwendungen an Spritzmitteln haben sich längst ins Gegenteil verkehrt", sagt der Grünenpolitiker. "Um dem zu begegnen, rüsten die Agrarkonzerne weiter auf mit einer neuen Generation von Genpflanzen." Darunter seien Pflanzen, die gegen vier Unkrautvernichtungsmittel gleichzeitig resistent seien und ein halbes Duzend Insektengifte produzieren, um Schädlinge abzuwehren. Für Häusling führt dieser Weg in eine Sackgasse. Die Risiken seien unkalkulierbar

Ihre neuen Produkte wollen die Agrarkonzerne auch gern in Europa verkaufen. Bis Oktober 2013 lagen den EU-Behörden laut Studie 55 Anträge für die Zulassung neuer gentechnisch veränderter Pflanzen vor, 49 andere und ältere Sorten dürfen bereits als Rohstoffe importiert werden. Sie dienen vor allem als Tierfutter. Die meisten Anmeldungen kommen den Angaben zufolge von Monsanto (18), Syngenta (11), Dow Agroscience, Dupont/Pioneer (8) und Bayer (8).

Kurz vor der Zulassung steht die Maissorte 1507. Bundesagrarminister Hans-Peter Friedrich (CSU) muss in den nächsten Tagen dazu sein Votum abgeben. Das Thema Gentechnik spielt auch beim geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA eine große Rolle. Amerikanische Produzenten machen Druck, dass die EU ihre Märkte öffnet.

URL: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gentechnik-in-der-landwirtschaft-mehr-gift-weniger-
ertrag-1.1869788

Copyright: Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH

Quelle: SZ vom 23.01.2014/sana/rus

 Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein..

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

Pressemitteilungen