US-Freihandelsabkommen (TTIP): Verbraucherschutz auf dem Opferaltar
11.12.13 EurActiv.de - Interview mit Martin Häusling (Grüne)
Nächsten Montag beginnt in Washington die dritte Verhandlungsrunde zwischen EU und USA über das geplante Freihandelsabkommen (TTIP). In den völlig instransparenten Verhandlungen sei die EU dabei, den strengen europäischen Verbraucherschutz den Interessen der Wirtschaft zu opfern, warnt der agrarpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Martin Häusling, im Interview mit EurActiv.de.
Martin Häusling ist verärgert: "Es kann nicht sein, dass ein europäischer Kommissar mit einem Verhandlungsvertreter aus den USA Geheimgespräche führt und das Parlament am Ende nur ja oder nein sagen darf. Was ist denn das für eine Situation? Friss oder stirb!" Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament wettert insbesondere gegen den Geheimhaltungscharakter der Freihandelsverhandlungen mit den USA: "Wir haben als Parlament lange dafür gekämpft, bei allen Entscheidungen mit dabei zu sein. Deshalb ist es uns befremdlich, dass wir von der Kommission die Informationen nur auf Zuruf bekommen." Sogar die konservativen Abgeordneten seien darüber "not amused", sagt Häusling im Gespräch mit EurActiv.de.
Die USA und die EU hätten seit Beginn der Verhandlungen 600 Konsultationen mit Industrievertretern geführt, schildert Häusling. Mit Vertretern der Zivilgesellschaft fanden dagegen gerade mal fünf Treffen statt. Die Grünen wollen diese "undemokratischen Begleiterscheinungen" nun in der Öffentlichkeit vermehrt thematisieren, kündigt der Grünen-Politiker an. "Ich habe den Eindruck: Wenn man das den Leuten erzählt, dann werden einige wach."
Verbraucherschutz als reines Verhandlungspfand?
Konkret fürchten Häusling und seine Partei um die verhältnismäßig strengen Normen des europäischen Verbraucherschutzes. "Ich befürchte in allen Bereichen eine Aufweichung der Standards. Insbesondere beim Verbraucherschutz liegen Welten zwischen den USA und der EU. Deshalb fordern wir als Grüne, dass diese beiden Bereiche aus den Verhandlungen ausgeklammert werden."
Zwar versichere die Kommission, an den europäischen Standards werde nicht gerüttelt. "Ich frage mich allerdings, weshalb sie dann überhaupt Teil der Verhandlungspakete sind." Häusling interpretiert die Bekenntnisse der Kommission zum Verbraucherschutz denn auch als reine Verhandlungstaktik: Den Europäern gehe es vor allem darum, den amerikanischen Markt für die europäische Industrie und Dienstleister zu öffnen.
Die Amerikaner hätten im Gegenzug ein besonderes Interesse am Abbau der sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse, worunter auch der Verbraucherschutz fällt. Strenge Verbraucherstandards seien für die EU-Kommission ein nützliches Verhandlungspfand, um die eigenen Interessen durchzusetzen.
Den USA sei der Verbraucherschutz in Europa ein Dorn im Auge, erklärt Häusling. "In Amerika herrscht der Eindruck, die EU-Verbraucherschutzregeln dienen nur dem Zweck, amerikanische Produkte von den europäischen Märkten fernzuhalten." Er führt dieses Missverständnis auf verschiedene Mentalitäten und unterschiedliche Rechtssysteme auf beiden Seiten des Atlantiks zurück: "Grundsätzlich unterscheidet uns, dass die Amerikaner beim Verbraucherschutz nur das Nachsorgeprinzip kennen. Was auf den Tisch kommt, muss zwar hygienisch und keimfrei sein – aber wie das Produkt zustande gekommen ist, ist egal." In Europa sei dies ganz anders. Hierzulande achte man während des gesamten Herstellungsprozess darauf, dass ein Produkt in Ordnung sei.
Genmanipulation: Amerikaner gegen Kennzeichnung
Damit spricht der Grünen-Sprecher wesentliche Streitpunkte bei den Freihandelsverhandlungen an: Den Einsatz von Gentechnik, das Klonen sowie die Kennzeichnung der genmanipulierten Produkte. "Die Amerikaner werden sich nicht drauf einlassen, dass sie ihre Waren entsprechend kennzeichnen müssen. Klonen ist in der amerikanischen Tierzucht mittlerweile ein standardisiertes Verfahren. In Europa ist es dagegen verboten", so Häusling.
"Für die Amerikaner ist unsere Kennzeichnungsnorm für gentechnisch veränderte Produkte nicht akzeptabel. Da diese Kennzeichnungspflicht in den USA nicht besteht, gibt es dort auch keine entsprechenden Kontrollsysteme. Gleiches gilt beim Klonen. Für die Amerikaner wäre der Aufbau eines solchen Systems sehr teuer."
Für den Fall, dass sich die Amerikaner mit ihren Anliegen durchsetzen, befürchtet Häusling, dass es für gentechnikfreie Produkte in Europa eng werden könnte. Denn das Gros der genmanipulierten Erzeugnisse lande im Futtertrog und nicht in den Supermarktregalen. Eine lückenlose Überwachung über die gesamte Lieferkette sei kaum möglich. Damit könnte kaum mehr mit Sicherheit bestimmt werden, wie groß der genmanipulierte Anteil in einem Endprodukt überhaupt sei. "Je mehr Gentechnik in den Verfahren eingesetzt wird, desto schwieriger wird es für den gentechnikfreien Markt, diese Gentechnik-Freiheit zu halten", warnt Häusling.
Fallen die Verbote für den Anbau genmanipulierter Pflanzen, so rechnet Häusling mit gravierenden Auswirkungen auch auf die europäische Landwirtschaft: Die ganze Genmanipulation sei ohnehin "ein großes Experiment", sagt Häusling, "aber was wir im Wesentlichen verändern, ist die Form der Landwirtschaft. Beim Freihandel fällt immer der Agrarbereich hinten runter. Wir haben in Europa noch 13 Millionen Bauern. Die Amerikaner haben vergleichbare Flächengrößen – jedoch nur 750.000 Farmer. Wer am Ende gewinnen wird, dürfte klar sein."
Es gehe also beim Freihandelsabkommen auch um die Zukunft von Millionen von europäischen Klein- und Kleinstbauern, ist Häusling überzeugt. "Am Ende werden vom globalen Freihandel immer nur die großen Strukturen gewinnen."
Interview: Ewald König und Patrick Timmann