Grüne Europagruppe Grüne EFA

taz - die tageszeitung / Heike Holdinghausen

Jahrelang haben Politiker und Unternehmen ein Gesetz gegen gefährliche Chemikalien verschleppt. Jetzt fällt die Entscheidung. Kritik von Verbänden

Sucht gerade jemand Stoff für eine Politserie à la „House of Cards“? Hier ist welcher: Seit neun Jahren arbeiten in Europa Politiker, Manager, Lobbyisten und Beamte an einem Gesetz für gefährliche Chemikalien, die in Ackergiften gegen Insekten, Pilze oder Mäuse enthalten sind. Die Einflussnahme der Industrie auf den Gesetzgebungsprozess ist legendär: Auch auf Druck des deutschen Chemiekonzerns Bayer CropScience wurde der Gesetzgebungsprozess jahrelang verschleppt. Beteiligte EU-Behörden waren industrienah besetzt, die kritische Generaldirektion Umwelt verlor die Führungsrolle in dem Prozess.

Jetzt kommen die Verhandlungen zum Ende, am heutigen Dienstag könnte der zuständige EU-Ausschuss den Anhang der Verordnung 1107/2009 verabschieden. Der spröde Text definiert, welche Chemikalie als „endokriner Disruptor“ (EDC) eingeordnet – und damit perspektivisch verboten wird.

Diese Definition ist nicht so einfach, denn endokrine Disruptoren sind keine Gruppe bestimmter Substanzen, sondern bezeichnen ganz unterschiedliche Chemikalien. Sie haben nur eines gemeinsam: Sie greifen in das Hormonsystem von Menschen und Tieren ein, können diverse Krebsarten auslösen, Verhaltensauffälligkeiten und Fortpflanzungsstörungen.

Unter den Disruptoren sind alte Bekannte: etwa die in Europa weitgehend verbotenen Stoffe Nonylphenol und Bisphenol A, die in Waschmitteln oder als Weichmacher eingesetzt oder in importierten Textilien gefunden werden. Auch der Unkrautvernichter Glyphosat steht im Verdacht, als eine dieser gefährlichen Substanzen in den Hormonhaushalt einzugreifen.

Die Kriterien, nach denen die EU die Stoffe künftig identifizieren will, sind Verbraucher- und Umweltverbänden nicht gut genug. „Die Beweislast, dass ein Pestizid ein EDC ist, ist zu groß“, sagt Angeliki Lysimachou, die für das „Pestizid Aktions Netzwerk“ PAN Europe seit Jahren den Prozess verfolgt. Menschen und die Umwelt würden weiterhin gefährlichen Chemikalien ausgesetzt, weil ihre Wirkungsweise nicht bekannt sei. So werde das Vorsorgeprinzip ausgehebelt, moniert Alexandra Caterbow von der Umweltorganisation HEJSupport. „Es ist nahezu unmöglich, anhand dieser Kriterien endokrine Disruptoren zu identifizieren“, sagt Caterbow, „außerdem ist das Verfahren langwierig.“

Doch auch die Industrie ist keineswegs begeistert. „Die Kriterien für endokrine Disruptoren werden dazu führen, dass Landwirten deutlich weniger Pflanzenschutzwirkstoffe zur Verfügung stehen werden“, sagt Martin May, Geschäftsführer des Industrieverbandes Agrar. Die meisten Verluste werde es bei den Fungiziden, also Giften gegen Pilze, geben. Im jüngsten Kommissionsvorschlag seien sinnvolle Ausnahmen für Insekten-Wachstumsregulatoren wieder gestrichen worden, kritisiert May.

Das sieht der grüne Europa-Parlamentarier Martin Häusling anders: „Am Anfang gab es den glasklaren Willen, diese gefährlichen Chemikalien wirklich einzudämmen“ sagt Häusling, „jetzt werden die Kriterien der Verordnung wohl nur fünf der vielen, vielen vorliegenden Stoffe betreffen.“ Das Parlament hatte im Herbst noch einmal Zähne gezeigt und das Gesetz der Kommission abgelehnt. „Jetzt ist unser Spielraum ausgeschöpft, Nachbesserungen von der EU-Kommission einzufordern“, sagt Häusling.

Nun kommt es auf die Regierungen der Mitgliedstaaten an. Denn ist das Gesetz verabschiedet, handeln sie mit der Kommission aus, wie das Gesetz konkret umgesetzt wird. „Darauf muss jetzt auch unser Fokus liegen“, sagt Lysimachou von der Umweltorganisation PAN Europe. Welche Studien sind nötig, um die Gefährlichkeit eines endokrinen Disruptors nachzuweisen? Wer muss sie bezahlen? Darum geht es.

Das Parlament darf hier nicht mehr mitreden. Genug Stoff also für die nächste Staffel im Krimi über die Regulierung der endokrinen Disruptoren.

Nun kommt es auf die Regierungen der Mitgliedstaaten an.


Dokument TAZ0000020171211edcc00008

Schlagwörter:

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

Pressemitteilungen