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Frankfurter Rundschau -  Von Stephan Börnecke
Der Öko-Vordenker Urs Niggli stößt seine Zunft vor den Kopf: Er setzt sich für eine neue Form der Genmanipulation ein. Crispr, obwohl noch ganz am Anfang stehend, könnte die Lösung sein, meint der Schweizer.

Urs Niggli, der Chef des renommierten Schweizer Forschungsinstituts für biologischen Landbau Fibl, gilt als einer der maßgeblichen Vordenker der Bio-Branche. Nun treibt er unter dem Stichwort Bio 3.0 eine Diskussion voran, die Bio endgültig zum Durchbruch verhelfen soll. Nach der Phase der Gründer und Pioniere (1.0) sowie der Phase des ökonomischen Erfolgs samt Verlust einst heiliger Werte (2.0) soll Bio nun zu einer flächendeckend möglichen Anbauweise reifen. Denn anders als biologisch, so der dahinterstehende Gedanke, werde sich die Welt auf Dauer nicht ernähren lassen.

Auf diesem Weg scheut Niggli es nicht, dann und wann mit dem Hammer auszuholen. Das war so, als er vor zwei Jahren einer Zweiteilung des Öko-Landbaus das Wort redete: Hier das traditionelle Bio, erzeugt unter höchsten Ansprüchen, und dort das „Bio fürs Volk“, erzeugt zwar nach organischen Ideen und unter Berücksichtigung ökologisch wie auch sozial fairer Standards, aber eben mit deutlichen Abstrichen von der reinen Lehre. Seit wenigen Tagen nun strapaziert Niggli die Branche erneut – und er setzt sich dem schweren Verdacht aus, Bio für die Gentechnik zu öffnen.
Pflanzenzüchtung verbessern

Was war geschehen? Schon seit Jahren blickt Niggli – wenigstens hinter verschlossenen Türen – auch auf Aspekte der grünen Gentechnik und bittet, Innovationen nicht rundheraus zu verwerfen. Stattdessen gelte es zu fragen, ob man mit Hilfe neuer Züchtungsverfahren nicht eklatante Schwachpunkte des biologischen Landbaus beseitigen könnte. Er weigert sich seit langem, allerlei in der Bio-Branche an sich Verrufenes, ob die CMS-Technik, ob Hybridzüchtung oder Nanotechnologie, per se abzulehnen. Stattdessen mahnt er, jeden Fall genau zu prüfen, da Neuerungen unter Umständen Bio in der Erfolgsspur halten könnten.

Diesmal geht es um Crispr/Cas, eine biochemische Methode, mit der man die DNS, den Träger der Erbinformation, gezielt schneiden und verändern kann. Die relativ neue Züchtungsmethode kann man getrost als Gentechnik ansehen. Denn mit Hilfe eines biochemischen Skalpells wird ins Erbgut eingegriffen, um gezielt Gene auszuschalten oder Mutationen auszulösen – und zwar gezielt, effektiv und obendrein billig.
Crispr-Cas-Technik

Von der Crispr-Cas-Technik versprechen sich die Agrarkonzerne viel. Der US-Saatguthersteller Dupont Pioneer hat am Dienstag angekündigt, dass er innerhalb von fünf Jahren den ersten mit Crispr erschaffenen Mais auf den Markt bringen wolle. Vorher müssten aber noch Feldversuche durchgeführt und die Zustimmung der US-Behörden eingeholt werden. Letztere haben angekündigt, dass sie Crispr-Produkte nicht wie gentechnisch-veränderte Pflanzen behandeln werden. Im Fall eines Pilzes, dessen Erbgut so verändert wurde, dass er nicht braun wird, teilte das US-Landwirtschaftsministerium mit, es sehe keine Notwendigkeit zur behördlichen Kontrolle.

Niggli nennt Crispr demokratisch, da jede Anwendung nur 50 bis 60 Euro koste, was sich auch Öko-Züchter leisten könnten, zumal die Methode technisch einfach sei. Dass Crispr allerdings nicht immer frei von Nebenwirkungen ist, denn es können auch unbeabsichtigte Mutationen ausgelöst werden, sieht auch Vordenker Niggli. Er plädiert deshalb dafür, jede Anwendung „einzeln zu bewerten, statt diese Technik generell abzulehnen“. Schließlich werde keine fremde DNS eingebaut, wenn man zum Beispiel Resistenzgene der Wildform, die der Kulturpflanze abhandengekommen sind, mittels Crispr in die Zucht zurückhole.

Der Forscher und erklärte Gentechnik-Gegner sieht viele ungelöste Probleme des Öko-Landbaus, bei denen Crispr helfen könnte. Falscher Mehltau ist so eines. Es schmälert die Ernte von Kartoffeln und Gemüse, Hopfen und Reben, und wird mit Kupfer bekämpft. Das lebenswichtige Spurenelement aber reichert sich auch im Boden an und dürfte auf mittlere Sicht von der EU deshalb verboten werden. Kupfer zu ersetzen oder Pflanzen in der Züchtung gegen Mehltau immun zu machen, das ist nicht nur ein teurerer, sondern vor allem ein mehrere Dekaden dauernder Weg.
„Absolutes No-Go“

Crispr, obwohl noch ganz am Anfang stehend, könnte die Lösung sein, meint der Schweizer. Denn die Alternative sei doch, dass die Ökoszene ihre Anstrengungen für die eigene Züchtung vervielfachen müsse, sagte er der „Taz“. Das dafür nötige Geld aber fehle. „Es wäre unschön, wenn der konventionelle Bauer eine Kartoffelsorte hätte, die ohne Pestizide auskommt – und der Biobauer eine Kartoffelsorte, die er mit Kupfer spritzen muss.“

Spätestens an dieser Stelle bringt der Forscher die Szene gegen sich auf. Das Verlangen, die nach Gentechnik schmeckende Methode unbefangen zu beleuchten, stößt in der Branche auf Ablehnung: Niggli gefährde das Vertrauen der Bio-Kunden und säe „Zweifel an unserer Haltung zur Gentechnik“, so die Organisation Saat:gut, ein Zusammenschluss von Züchtern und Bauern. Im Kartoffel-Beispiel sehe man einen besonderen „Tiefpunkt in den Äußerungen Nigglis“. Denn damit übernehme er „die Argumente der Gentechnik-Lobby“. Tatsächlich sei es möglich, auch Öko-Kartoffeln ohne Kupfer anzubauen.
Urs Niggli ist eine Koryphäe des Ökolandbaus und der Pflanzenforschung. Der Direktor des Schweizer Forschungsinstituts für biologischen Landbau lehrt an der Universität Kassel Witzenhausen und an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Zudem ist er unter anderem Mitglied des Kuratoriums des Max-Planck-Instituts für Pflanzenforschung und sitzt in Expertengremien des Bundesforschungs- und des Bundeslandwirtschaftsministeriums.  Foto: Privat

Statt auf kurzfristige Züchtungserfolge zu setzen, die von der Natur rasch wieder vernichtet werden, stelle die ökologische Pflanzenzüchtung „multigene Resistenzen und Feldtoleranzen“ in den Mittelpunkt. Zudem, so der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, gehe es beim Öko-Landbau um eine „intelligente Kombination von Sortenwahl, Anbaumethode, Förderung funktionaler Biodiversität und den Einsatz von Naturstoffen“, also Pestiziden auf natürlicher Basis. Fakt ist aber auch: Immer noch muss der ökologische Obstanbau mit Sorten arbeiten, die einst für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gezüchtet wurden. Die Szene ist zu klein, um alles in Öko bieten zu können.

Derweil glaubt selbst der Fibl-Direktor nicht, dass die Bio-Branche seinen Ideen folgen wird. Die Zuchttechnik sei dem Verbraucher derzeit kaum vermittelbar, weshalb die Bio-Verbände zurückzucken würden. Die, ob Bioland oder Demeter, fürchten die Einführung der Gentechnik durch die Hintertür. Crispr berge wie die alte Gentechnik „unvorhersehbare Risiken durch ungewollte Effekte im Erbgut“. Bioland-Präsident Jan Plagge warnt: „Einmal freigesetzt, lässt sich ihre Verbreitung zudem nicht mehr kontrollieren und nimmt Landwirten, Herstellern und Verbrauchern, die Wahlfreiheit, gentechnikfrei zu produzieren und sich zu ernähren.“

Der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling sieht in dem Verfahren eine „Gentechnik für den kleinen Mann“, die „in jedem Keller zu betreiben ist“. Damit sei das Risiko unkontrollierbar. Ergo: Crispr, weil „eindeutig Gentechnik“, sei ein „absolutes No-Go“, so Plagge. „Denn das Leben lässt sich nicht programmieren wie ein Computerprogramm.“

Niggli aber ist schon einen Schritt weiter und denkt über die Kennzeichnung mit Hilfe von Crispr hergestellter Öko-Lebensmittel nach. Denn wenn man bei Crispr „gentechnisch verändert“ auf die Packung schreibe, orakelt er, „ist die Methode gestorben, bevor man sie kennt“.

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Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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