Grüne Europagruppe Grüne EFA

Berliner Zeitung - Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche geht immer weiter zurück. Die Folgen sind dramatisch

VON STEFAN SAUER

Jedes Jahr geht in der EU die gigantische Menge von 970 Millionen Tonnen fruchtbaren Bodens durch Erosion verloren. Diese Menge würde ausreichen, um ganz Berlin um einen Meter anzuheben. Und sie reicht aus, um ernste Sorgen hervorzurufen. Denn fruchtbares Land ist im wörtlichen Sinne Grundlage für die Ernährung der Menschen. Anders als die wachsende Weltbevölkerung schrumpft die landwirtschaftlich nutzbare Fläche durch menschliches Handeln rasant, wie die Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste in einer Studie anhand einer Vielzahl aktueller Daten nachweist.

Die Untersuchung, die im Auftrag der Grünen erstellt wurde, zeigt eindrücklich auf, warum und wofür gute Böden so wichtig sind: Sie dienen als Anbaufläche für Nahrungs- und Futtermittel, bauen Schadstoffe ab, bilden wertvolle Mineralverbindungen und sorgen als Filter für sauberes Grundwasser. Möglich machen dies unzählige - und höchst empfindliche - Kleinlebewesen: In einem einzigen Gramm fruchtbarer Krume finden sich 600 Millionen Mikroorgansimen. Hinzu kommen Asseln, Milben, Pilze, Fadenwürmer, Larven und Algen. Sie werden durch Luftschadstoffe, Überdüngung, Pestizide, Bodenverdichtung und den Bau von Verkehrswegen und Gebäuden beeinträchtigt oder schlicht ausgelöscht. EU-weit verwandeln sich jedes Jahr land- und forstwirtschaftliche Flächen von der Größe Berlins in städtische Siedlungsräume.

Lebensgrundlage in Gefahr

Global geht jährlich bis zu einem halben Prozent der nutzbaren Böden verloren. Das klingt nach wenig, ist aber dramatisch. Denn damit schrumpft der verfügbare Boden 30 bis 40 Mal schneller, als er auf natürlichem Wege neu entsteht. Agrarwissenschaftlerin Beste gibt einen Zeitraum zwischen 20 000 und 200 000 Jahren an, die abhängig von Klima, Feuchtigkeit und Gestein für die Bildung einer Bodenschicht von einem Meter Tiefe nötig sind. Die rasante Bodenzerstörung ist auch deshalb so bedenklich, weil die agrarisch nutzbaren Regionen des Planeten durchaus begrenzt sind: Nur zwölf Prozent der Festlandsfläche ist den Angaben zufolge für eine intensive Bewirtschaftung geeignet, weitere 22 Prozent können zumindest eingeschränkt genutzt werden.

"Diese Fläche lässt sich nicht vergrößern", so Beste. "Bluten wir unsere Böden weiter aus, riskieren wir den Verlust unserer wichtigsten Lebensgrundlage, wir riskieren die Verschärfung von Hochwasserereignissen und das Trinkwasser gerät in Gefahr", warnt der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling.

Land wird zu Spekulationsobjekt

Im Ergebnis produzieren die entwickelten Länder weltweit mehr Landflucht und Hungernde, aber nicht mehr Nahrungsmittel. Dies gilt umso mehr, als die Bodenverluste bereits seit Jahrzehnten anhalten und sich durch das weltweite Bevölkerungswachstum und die zunehmende Verstädterung noch beschleunigen. Nach Angaben der EU-Generaldirektion Umwelt kamen 1965 auf jeden Europäer noch 5 000 Quadratmeter landwirtschaftlicher Nutzfläche. Heute sind es nur noch 1 000 Quadratmeter. Einen wesentlichen Anteil am Bodenverlust haben Überschwemmungen, die durch versiegelte Böden und begradigte Flüsse zugenommen haben.

Die Knappheit führt auch dazu, dass fruchtbares Land immer mehr zum Spekulationsobjekt wird. Und dies nicht nur in armen Ländern des Südens, sondern auch in der EU. Brüssel schüttet pro Jahr Zahlungen in Höhe von 300 Euro pro Hektar aus. In Zeiten niedriger Zinsen lohnt da der Kauf selbst dann, wenn das Land gar nicht landwirtschaftlich genutzt wird. Zugleich haben solche Spekulationen zum starken Anstieg der Kauf- und Pachtpreise in den vergangenen Jahren beigetragen, was wiederum das Entstehen großer Agrarbetriebe mit meist starkem Pestizid-und Maschineneinsatz beziehungsweise hoher Viehdichte und Gülleüberschüssen begünstigt: ein Teufelskreis.

Der falsche Weg

Warnung: Eine weitere Intensivierung der Landwirtschaft könne nicht Teil der Lösung sein, um die wachsende Weltbevölkerung zu versorgen, sondern sei Teil des Problems, urteilt der grüne Europaangeordnete Martin Häusling.

Naiv: Es sei eine naive bis scheinheilige Darstellung, dass die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung nur mit einer noch intensiveren Landwirtschaft erreicht werden könne, so Häusling. Das Gegenteil sei der Fall: "Sinkt die Bodenfruchtbarkeit, sinken auch die Erträge."

Dokument BERLRZ0020151016ebag0001a

Schlagwörter:

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

Pressemitteilungen