Grüne Europagruppe Grüne EFA

Berliner Morgenpost - Von Matthias Thieme, Dirk Hautkapp und Knut Pries

Volkswagen ist kein Einzelfall. Auch andere Hersteller stehen unter Verdacht. Die Regierung ist alarmiert. Die EU macht Druck.

Ein deutscher Weltkonzern, der bei Abgastests betrügt, erschüttert momentan die gesamte Autobranche sowie das Vertrauen der Kunden und Anleger. VW-Aktien verloren am Montag dramatisch – innerhalb kürzester Zeit verpufften rund 15 Milliarden Euro oder mehr als 20 Prozent an Börsenwert. Und VW? Trommelt am selben Abend für ein rauschendes Fest in New York: Vor rund 700 geladenen Gästen will VW-Amerika-Chef Michael Horn den neuen Passat präsentieren, auch wenn die Dieselvariante gerade nicht verkauft werden darf – es fehlt die Zulassung durch die Umweltbehörde EPA. Und während VW in New York die kostspielige Show mit Rockstar Lenny Kravitz trotz großer interner Bedenken ins Werk setzt, geht es in Europa längst um schmutzige Details: Hat VW auch auf dem Heimatkontinent manipuliert? Und die anderen Hersteller?

Die ernüchternde Antwort: Auch bei Abgastests in Europa werden offenbar die Schadstoffwerte nach unten manipuliert. Nach Erkenntnissen der Verkehrs- und Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) rüsten die führenden Hersteller ihre Dieselfahrzeuge so aus, dass sie bei Tests gezielt den Ausstoß von Stickoxid drücken. Im Normalbetrieb auf der Straße liegt der Wert erheblich höher.

Auch deutsche Autos "merken", wenn sie getestet werden

"Es gibt substanzielle Hinweise, dass Autos merken, wenn sie getestet werden, und Austrickstechnik einsetzen, um die Emissionen zu drosseln", heißt es in einem neuen Report der Organisation. Das vom Dieselmotor produzierte Stickoxid kann zum großen Teil durch den Zusatz einer Katalysator-Flüssigkeit ("AdBlue") neutralisiert werden. Davon braucht man aber rund zwei Liter pro 1000 Kilometer, was sich die Hersteller aus Kostengründen gern sparen. "Es besteht starker Verdacht, dass die Autos nur während der Tests die erforderliche Menge einsetzen, um die Emissionen niedrig zu halten, aber viel weniger auf der Straße", erklärt T&E.

Seit dem 1. September gelten in der EU für alle Neuwagen die niedrigeren Emissionswerte der Norm Euro 6. Für Diesel-Pkw sind das 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer. Das soll unter "normalen Fahrbedingungen" nachgewiesen werden. Die dafür benötigten RDE-Tests (Real-World Driving Emissions), die sämtliche Einsatzvarianten abdecken wie etwa auch den höheren Schadstoffausstoß im Kaltlauf, stehen aber noch nicht zur Verfügung.

In den USA deklariert der Hersteller die Einhaltung der Normen. Die Selbstzertifizierung wird aber durch Stichprobentests der Aufsichtsbehörde EPA ergänzt. In der EU nehmen Gutachter wie etwa der TÜV die Messungen im Auftrag der Firmen vor. Auf Basis der Ergebnisse erteilt das Kraftfahrtbundesamt eine Genehmigung für die Typenzulassung in Europa.

Nach Auffassung von Kritikern ist das europäische System anfälliger für Manipulationen als das amerikanische. "Die europäischen Behörden müssen ein umfassendes Programm zur Identifikation von Austrickstechnik in Gang setzen", fordert T&E-Experte Greg Archer. "Wo so etwas entdeckt wird, muss das Modell vom Markt genommen und der Kunde entschädigt werden."

Nach dem T&E-Report erfüllt derzeit nur jedes zehnte Fahrzeug tatsächlich die Euro-6-Norm. Der Befund gelte für alle großen europäischen Marken. Am drastischsten sei die Überschreitung der Grenzwerte bei Audi und Opel. Sie liege im Extremfall 22-mal höher als das zugelassene Limit. Nach den Feststellungen von T&E investieren die Hersteller in die Entgiftungstechnologie in Europa weniger als bei ihren Modellen für den US-Markt. Fazit: Moderne Diesel-Pkw sind häufig nur im Labor richtig sauber. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie der Umweltorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT) und des ADAC: Hier versagten viele Modelle, sobald die Prüfprozedur von den Normvorgaben abwich. Von 32 Kandidaten überzeugten im realitätsnäheren Verfahren nur zehn mit sauberem Abgas. Die Pkw von Volvo lagen zum Beispiel 15-fach über dem Grenzwert, Renault-Modelle überschritten ihn neunfach und Hyundai-Pkw siebenfach. Modelle von Audi brachten das Dreifache des Grenzwerts.

Offenes Geheimnis, dass auch andere Hersteller manipulieren

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) fordert, sämtliche Dieselmodelle neuerer Bauart zu kontrollieren. "Alle Dieselfahrzeuge, die die neue Euro-6-Norm erfüllen, müssen auf den Prüfstand", sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Die Kosten für entsprechende Rückrufe und eventuell notwendige Nachrüstungen müssten die Hersteller übernehmen. "Dem Kunden sind schließlich entsprechende Grenzwert-Einhaltungen garantiert worden."

Auch der BUND-Chef kritisiert die Messverfahren in Deutschland: "Im Testbetrieb schneiden Dieselfahrzeuge oftmals besser ab als im Realbetrieb, weil beispielsweise die Testmessungen nur bis zu einer Maximalgeschwindigkeit von 120 Stundenkilometer durchgeführt werden." Auf Autobahnen werde aber viel schneller gefahren. Daher müssten alle Autos ab sofort im Realbetrieb auf Schadstoffe getestet werden.

Es sei naheliegend, "dass neben VW auch andere Hersteller manipulieren, und zwar auch in Europa", so Leif Miller, Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes Nabu. Seine Organisation kritisiere seit Langem, dass die Abgaswerte vieler Fahrzeuge nur auf dem Prüfstand eingehalten und in der Praxis deutlich überschritten würden. Die EU-Kommission und die Bundesregierung müssten dem nun nachgehen, Abgastests anpassen "und diese um Messungen im realen Fahrbetrieb erweitern".

"Es ist schon lange ein offenes Geheimnis, dass im Autobereich mithilfe von Tricksereien die Verbrauchswerte von Pkw bei Testfahrten so niedrig gehalten werden, wie sie unter wahren Bedingungen niemals sein könnten", sagte Martin Häusling, Europa-Abgeordneter und Grünen-Obmann im Umweltausschuss. "Die Gelackmeierten sind die Käufer und die Umwelt", sagt er. Die einen, weil sie mehr zahlen müssten. Die anderen, weil der erhöhte Spritverbrauch zu mehr Abgasen führt.

Vielleicht hilft bei VW ja der Blick in die eigene Imagebroschüre zum angeblich sparsamen Schadstoffausstoß. Sie heißt: "Verantwortung übernehmen". Das wäre doch mal ein Anfang.

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

230213 action against NewGMO

13.02.2023 #global2000 #lebensmittelsicherheit
Über 420.000 Menschen fordern europaweit: Neue Gentechnik (NGT) in Lebensmitteln auch weiterhin regulieren und kennzeichnen. #ichooseGMOfree - Mit unserem Essen spielt man nicht!

Strenge Risikoprüfung und Kennzeichnung für #NeueGentechnik sichern! Volle Unterstützung für unsere Kolleg:innen, die in Brüssel die Petition, inkl. unserer #PickerlDrauf-Unterschriften, an die Europäische Kommission überreichen!

Eine breites Bündnis von mehr als 50 Organisationen aus 17 EU-Mitgliedstaaten hat eine Petition an die Europäische Kommission gerichtet, in der wir fordern, dass Neue Gentechnik-Pflanzen auch reguliert und gekennzeichnet bleiben.

Danke an alle, die sich hinter unsere Forderungen gestellt haben und sich für die Wahlfreiheit der Bäuerinnen und Bauern und Konsument:innen einsetzen!

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